Zu den bekanntesten Liedern Zarah Leanders – oder den “Gassenhauern”, wie man sie seinerzeit nannte – zählt LA HABANERA, weithin auch geläufig unter dem Titel DER WIND HAT MIR EIN LIED ERZÄHLT. Der Text entstammt der Feder von Bruno Balz und wurde von Lothar Brühne vertont.
I. Entstehungsgeschichte
LA HABANERA wurde 1937 als Musikstück im gleichnamigen Film-Melodram der Ufa veröffentlicht. Die Dreharbeiten hierzu hatten während des Spanischen Bürgerkrieges auf Teneriffa stattgefunden, die Studioaufnahmen im Filmstudio Babelsberg. Es sollte der letzte deutsche Film unter der Regie von Detlef Sierck werden, da dessen jüdische Ehefrau ins Visier der Nationalsozialisten geraten war. Er arbeitete in den USA unter dem Pseudonym Douglas Sirk weiter und spezialisierte sich auf Melodramen.
Sowohl Drehbuch als auch Musik wurden auf die schwedische Ikone des deutschen Films Zarah Leander zugeschnitten und trugen gleichsam dazu bei, den Mythos zu erschaffen und zu erhalten. LA HABANERA war Leanders zweiter großer Filmerfolg in Deutschland und katapultierte sie mit einem Verdienstanspruch von 75.000 RM für jeden nachfolgenden Film an die Spitze der bestbezahlten Schauspielerinnen des Dritten Reichs.
Zarah Leander, schwedische Schauspielerin und Kontra-Alt-Sängerin, die mit bürgerlichem Namen Sara Stina Hedberg hieß, lebte von 1907 bis 1981 und feierte ihre größten filmischen Erfolge im sogenannten Dritten Reich, kehrte diesem jedoch 1942 den Rücken und arbeitete danach vornehmlich als Sängerin und Bühnendarstellerin.
Wie in der Filmindustrie der 1920er und 1930er Jahre durchaus üblich, stand auch der Name Zarah Leander vor allem für eine kreierte Kunstfigur, eine Ikone. So zieht sich ein roter Faden durch sämtliche ihrer Rollen: Sie spielt die Gefangene problemlastiger Partnerschaften, die mit ihrem Schicksal hadert, und lässt sich dabei charakterisieren als sinnlich und zugleich stoisch-sittsam, sanft, fürsorglich, melancholisch. Sie besitzt einen theatralischen Gestus und mithin eine eher divenhafte, unnahbare Ausstrahlung. Unterstrichen wurde Letztere noch durch die elegante und nicht weniger extravagante Garderode, die sie bei ihren späteren Bühnenauftritten trug.
II. Kontext
Spanien taucht ab 1936 verstärkt in der deutschen Presse auf – mit dem Ziel, die deutsche Bevölkerung mit dem Kampf gegen die “Bolschewisierung Westeuropas” im Spanischen Bürgerkrieg zu solidarisieren. Die Berichterstattung erfolgt selektiv, das republikanische Spanien wird diffamiert. Beispielsweise hatte das Reichspropagandaministerium verfügt, die Bezeichnung “Madrider Kabinett” in der Pressesprache durch “Linksregierung” zu ersetzen.
Mit der Gründung der staatlichen Reisegesellschaft Kraft durch Freude (KdF) im Jahre 1933 sollte Urlaub in befreundeten Ländern auch für Arbeiterfamilien erschwinglich werden und auf diese Weise Kulturaustausch stattfinden. Die rechtsregierten Länder sollten zusammenwachsen, zudem gehörten interkulturelle Huldigungen an Hitler zum festgelegten Reiseprogramm. Tatsächlich hatte die Gründung der KdF einen realen Anstieg des Badetourismus in den 1930er Jahren zur Folge. In Bezug auf Spanien etablierten sich v. a. assoziative Begriffe wie Sommer, Sonne, Strand, Meer, Exotik (zu beziehen auf Vegetation, Küche, Musik, Menschen), herzlicher Empfang und Lebensfreude. Spanien wurde zu einem romantisierten Sehnsuchtsland.
Warum aber wurde ein bis dato weniger bekanntes Land aus Lateinamerika zum Schauplatz der Filmhandlung und nicht etwa Spanien selbst, wo der Film doch eigentlich gedreht wurde? Zum Ersten war Spanien mittlerweile Reiseziel und zahlreiche Deutsche kämpften im Spanischen Bürgerkrieg. Somit konnte es nicht mehr glaubhaft als das rückständige Land, in dem obendrein ein Tropenfieber um sich greift, präsentiert werden. Zum Zweiten wird im Film die “leyenda negra” verarbeitet, um die Protagonistin zur Rückkehr und den Rezipienten zum Stolz auf die besseren Umstände im eigenen Land zu bewegen. Da man jedoch mit Franco sympathisierte, wurde das Konzept schlichtweg in eine Region ausgelagert, die in der zeitgenössischen Presse ohnedies mit Kriminalität für Schlagzeilen sorgte.
Das Reichspropagandaministerium unter Leitung von Joseph Goebbels erkannte das propagandistische Potential der deutschen Filmindustrie. Es verschärfte sukzessive die Zensur und verlieh auf der anderen Seite Prädikate für besonders förderungswürdige Filme.
So lässt sich im Film das bis auf die mittelalterliche Heldenepik zurückzuführende klassische Abenteuermotiv nachweisen: Ein progressiver junger Held kritisiert die ihm vertraute Umgebung und sehnt sich nach der Ferne. Er sucht sein Glück in der Fremde, stürzt sich blauäugig ins Unglück und kehrt enttäuscht und geläutert zurück. Doch bereits auf der Heimkehr kommt es zu einer emotionalen Spaltung, die seine Sehnsucht in die Unlösbarkeit münden lässt und zu neuen Abenteuern aufruft.
Die Figur der Astrée, die auf die Ikone Zarah Leander zugeschnitten wurde, liefert zugleich das vorherrschende Frauenbild im Melodram der NS-Jahre: Sie ist sinnlich, aber dennoch stoisch-sittsam und ihr Schicksal geduldig (er-)tragend, fürsorglich, und sie geht vollständig in ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter auf. Tatsächlich dachte die NS-Ideologie Frauen die Rolle der Produktion und Erziehung künftiger Soldaten zu. Die Launen wie auch die spätere Absenz ihrer Ehemänner in den Kriegsjahren galt es ohne mit der Wimper zu zucken hinzunehmen.
III. Analyse
Der Film handelt von der schwedischen Protagonistin Astrée, die in Begleitung einer Tante nach Puerto Rico reist. Hier verliebt sie sich in den Stierkämpfer und zugleich vermögenden Landbesitzer Don Pedro de Ávila und fasst den Entschluss zu bleiben, um mit ihm eine Familie zu gründen.
10 Jahre später bereut sie ihre Wahl; die tropische Wärme ist zur Pein geworden, die Kultur ihr fremd geblieben und Musik und Tanz der Habanera empfindet sie als quälerisch. Vom Ehemann tyrannisiert und mit ihm im Streit um die Kindeserziehung, schwelgt sie in Erinnerungen an Schweden.
In der alten Heimat bricht derweil ihr Jugendfreund, der Arzt Dr. Sven Nagel, nach Puerto Rico auf, um ein Heilmittel gegen ein dort grassierendes Tropenfieber zu finden. Seine Forschungen werden von Don Pedro sabotiert, der wirtschaftliche Einbußen und eine Hungersnot fürchtet. Don Pedro fällt dem Virus schließlich selbst zum Opfer und Astrée kehrt mit Dr. Nagel nach Schweden zurück.
Astrée und Don Pedro sind sprechende Namen. Astrée entstammt der französischen Schäferdichtung (Honoré d’Urfé: L’Astrée, 1607-1627). Hier ist sie eine junge Hirtin, in die der Hirte Céladon sich unsterblich verliebt hat, dem sie jedoch ausweicht, da sie ihn für untreu hält. Nach einem gescheiterten Suizidversuch seinerseits stellen sich den Liebenden Umstände, Politik und soziales Umfeld in den Weg. Oder, auf eine abstrakte Ebene gehoben: Sie ist eine fromme junge Frau, die sich in ihr eigenes Unglück manövriert und zur Gefangenen der Umstände wird.
Don Pedro de Ávila ist weniger ein Name in literarischer Tradition als vielmehr ein Stereotyp: “Don” ist im Spanischen eine respektvolle Anrede, die in Verbindung mit Oberhäuptern von Adelsfamilien gebraucht wird, die ihrerseits wiederum meist über Grundbesitz verfügen. In Agrarstaaten nehmen Grundbesitzer eine tragende wirtschaftliche Rolle ein, die (Halb-)Pächter und Tagelöhner in quasifeudale Abhängigkeit zwingt. Der Name ist also der Inbegriff von Ehranspruch als Geburtsrecht und steht für den selbstgefälligen Ausbeuter innerhalb einer spanischsprachigen Welt.
Der Song übernimmt im Film die Funktion der Titelmelodie bzw. des Leitmotivs und wird insgesamt dreimal gespielt: zum ersten Mal (00:04:40) als Gesang der Einheimischen, während Astrée und ihre Tante durch Puerto Rico fahren; hierdurch wird das Geschehen geographisch eingeordnet (karibischer Raum) und ein exotisches Nationalkolorit demonstriert. Später (01:18:40) singt Astrée das Lied auf einer Feier und offenbart so ihre emotionale Situation: die Ausweglosigkeit ihrer misslichen Lage, das Glück in ihrer alten Heimat vermutend. Schließlich (01:30:20) besteigt Astrée mit Dr. Nagel ein Schiff nach Schweden; das Lied erklingt als instrumentale Version. Als Einleitung der Schlusssequenz begleitet es den Abschied und unterstreicht Versöhnlichkeit und Melancholie, die in diesem Abschied liegen, sowie die Unlösbarkeit der Sehnsucht Astrées.
Textlich setzt sich LA HABANERA zusammen aus zwei Strophen und dem Refrain, der einmal wiederholt wird. Dabei umfasst der Refrain etwa die doppelte Versanzahl einer Strophe. Eine durchgehende Reimform gibt es nicht. Die textuelle Schlichtheit und Rekurrenz verstärkt die Eingängigkeit des Liedes.
Da das lyrische Subjekt sich in Ich-Form an sein Herz wendet, handelt es sich bei der Erzählform um eine Apostrophe mit fester Sprechinstanz. Die Palmen, das Meer und bunte Vögel formen das Bild eines exotischen locus amoenus und sind typische Topoi des Südens. Das Herz, das für jemanden schlägt, ist eine Allegorie für die Liebe; der Wind, das Meer und die Vögel stehen als ebensolche für die Sehnsucht im Allgemeinen. Der Wind wird darüber hinaus personifiziert (“Der Wind hat mir ein Lied erzählt”), er spricht zum lyrischen Subjekt. Die Stilmittel vergegenständlichen die besungene Sehnsucht nach dem Unbekannten, die, so ist zu vermuten, der Rezipient teilt, wodurch die Identifikation mit dem lyrischen Subjekt hergestellt wird.
Bei der Wendung “ein Lied erzählt” handelt es sich um ein Paradoxon, das eine philosophische Lehre enthält. Erzählt wird der Text, er kommt von außen; die Melodie erklingt aus dem Inneren. Hierin lässt sich die Wirkungsweise von Sehnsucht wiedererkennen, wie sie auch im Film präsentiert wird: Die Sehnsucht wird als untrennbarer Teil des menschlichen Wesens aufgefasst, die Umwelt stiftet lediglich Reize. Das heißt, Sehnsucht ist ungerichtet – der Mensch wird sich immer nach etwas sehnen, unabhängig von den Einflüssen seines Status oder seiner Umwelt. Und sie ist endlos – hat sich eine Sehnsucht erfüllt, stellt sich die nächste ein.
“Glück zerbrach wie Glas” ist der verstärkende Vergleich, der die Moral schließlich abrundet: Träumen von exotischen Ländern nachzujagen, stürzt den Träumer ins Unglück. Die Schönheit der (südlichen) Fremde ist nicht von Dauer; die (nordische) Heimat ist der bessere Ort.
Ganz im Einklang mit dem Titel des Liedes handelt es sich bei der Liedform um eine Habanera, einen afrokaribischen Tanz im 2/4 Takt, der auf einer punktierten Achtelnote bzw. einer Achtelnote mit Sechzehntelpause beginnt. Er wurde über Spanien in Europa bekannt und gilt hier bis heute vor allem für die Regionen Katalonien und València als typisch (vgl. etwa den Song von Port Bo “Lola la Tavernera”). Die Melodie ist kraftvoll und eingängig – zum einen durch die markanten Taktschläge, zum anderen durch den geringen Notenumfang bei häufigen Wiederholungen – und kann vom zeitgenössischen Hörer der spanischsprachigen Welt zugeordnet werden. Nebst der Eignung zum ‘Gassenhauer’ soll also ein authentischer Schauplatz für die Filmhandlung geschaffen werden, wobei ‘glaubwürdig’ im Film nicht zwingend mit ‘realitätsnah’ als vielmehr mit ‘vorstellbar’ gleichgesetzt werden sollte. Diesen Anspruch spiegelt auch die Instrumentation wider: Während das Orchester vorwiegend auf Streicher setzt, treten Akkordeon und Maracas (die den Takt vorgeben) deutlich in den Vordergrund.
Den entscheidendsten Beitrag zum Erfolg des Musikstücks leistete jedoch die berühmte Interpretin, deren außergewöhnliche, düster-melancholischer Kontra-Alt einen immens hohen Wiedererkennungswert besaß und sogar heute noch, im Zeitalter von Youtube, sozialer Netzwerke und Musikstreams überall auf der Welt seine Bewunderer findet.
IV. Rezeption
Der Film war für damalige Verhältnisse ausgesprochen erfolgreich und erhielt bei Veröffentlichung ein Jugendverbot, das bis 1949 Bestand hatte. Das Titellied LA HABANERA wurde nach dem Fall der NS-Diktatur ins Standardrepertoire von Leanders Bühnenauftritten übernommen und gilt als eines ihrer erfolgreichsten Lieder. Es existieren zahlreiche deutsche Coverversionen, so etwa von Nina Hagen, Mireille Mathieu, Gaby Albrecht und Tim Fischer. In unserer Zeit wird es häufig, teils in abgewandelter Form, bei Karnevalsveranstaltungen, im Kabarett und in Travestieshows zitiert, wohl wegen der markant tiefen Stimme der Originalinterpretin.
CHRISTOPH OLIVER MAYER
Credits
Interpret: Zarah Leander
Lyrics: Bruno Balz
Music: Lothar Brühne
Orchestra: Ufa-Tonfilm-Orchester
Label: Odeon
Format: Shellac, 10” 78 RPM, doppelseitig (A – “Der Wind hat mir ein Lied erzählt”; B – “Du Kannst Es Nicht Wissen”)
Length: 2:52
Recording: Berlin, 24/11/1937
Released: Germany, 1937
References
- Borgelt, Hans: Die UFA – ein Traum. Hundert Jahre deutscher Film. Ereignisse und Erlebnisse. Berlin: edition q 1993.
- Bruns, Jana F.: Nazi Cinema’s New Women. Cambridge et al.: Cambridge University Press 2009.
- Peter, Antonio: Das Spanienbild in den Massenmedien des Dritten Reiches 1933-1945. Frankfurt a. M.: Lang 1992.
- Rathkolb, Oliver: Führertreu und Gottbegnadet. Künstlereliten im Dritten Reich. Wien: ÖBV 1991.
- Urfé, Honoré de: L’Astrée. Préface de Jean Lafond. Paris: Gallimard 1984.
About the Author
All contributions by Christoph Oliver Mayer
Citation
Christoph Oliver Mayer: “La Habanera / Der Wind hat mir ein Lied erzählt (Zarah Leander)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/lahabanera, 06/2017.
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