Der Song DAS BOOT IST VOLL auf dem 2019 erschienenen Album I fucking love my life des Schweizer Sängers Faber und seiner Band, der Goran Koč y Vocalist Orkestar Band, beschäftigt sich mit der Seenotrettung von Flüchtenden aus dem Mittelmeer.
I. Entstehungsgeschichte
Das Album I fucking love my life mit dem Song DAS BOOT IST VOLL wurde von Faber & Goran Koč y Vocalist Orkestar Band im Studio vom Dach in Luzern von Timo Keller und in den Hansa Studios in Berlin von Tim Tautorat im Jahr 2019 aufgenommen und produziert und auf dem Irrsinn-Label in Kooperation mit Vertigo Berlin veröffentlicht. Die Band besteht neben Faber (Gesang und Gitarre) aus den Musikern Tillmann Ostendarp (Posaune, Perkussion, Chor), Janos Mijnssen (Bass, Cello, Chor), Max Kämmerling (Gitarre, Perkussion, Bouzouki, Saxophon, Chor), Silvan Koch (Piano, Orgel, Juna, Chor), Tim Tautorat (Perkussion, Piano, Bass, Violine), Roberto Petroli (Saxophon), Michel Gsell (Violine) und Joachim Flüeler (Cello). Alle Texte stammen von Faber, so auch der von DAS BOOT IST VOLL; komponiert wurde die Musik von Faber & Goran Koč y Vocalist Orkestar Band.
Faber, eigentlich Julian Pollina, geboren 1993 in Zürich, ist Sohn des italienischstämmigen Liedermachers Pippo Pollina. Faber begann mit 15 Jahren, Lieder zu schreiben und trat auf privaten Veranstaltungen in der Schweiz auf. Seine ersten Songs bzw. die der Goran Koč y Vocalist Orkestar Band wurden als EPs unter dem Titel Alles Gute in 2015 und 2016 unter dem Titel Abstinenz veröffentlicht. 2017 erschien dann sein erstes Album Sei ein Faber im Wind.
Die Single DAS BOOT IST VOLL veröffentlichte er am 1. August 2019 im Zusammenhang mit der Vorankündigung zum Album I fucking love my life, das am 1. November 2019 erschienen ist. Auf diesem Album befinden sich neben DAS BOOT IST VOLL 15 weitere Songs inklusive der rein instrumentalen Ouvertüre und der Coda. DAS BOOT IST VOLL ist auf dem Album das Lied mit der deutlichsten politischen Aussage. Stilistisch sind Faber und die Goran Koč y Vocalist Orkestar Band schwer einzuordnen. Beeinflusst sind die Songs von sizilianischen Volksliedern, von Balkan-Pop und Polka, französischen Chansons, Swing und Folklore. Discogs.com ordnet ihn in Rock/Pop ein und bezeichnet das Genre als Indie-Pop/Ballad/Alternative-Rock. Er selbst nannte seinen Stil in der Sendung aspekte, ausgestrahlt am 7. Juli 2017 im ZDF, “Akustikpunk für Mädchen” und meint damit “die lauteste Musik, die man mit akustischen Instrumenten machen kann.”
II. Kontext
DAS BOOT IST VOLL wurde im August 2019 veröffentlicht und enthält zeitgeschichtliche Bezüge zur gesellschaftlichen Debatte um die Seenotrettung von Geflüchteten, ihre Aufnahme in Europa resp. ihre Abschiebung, die Reaktionen aus Politik und Gesellschaft und den Rechtsruck in verschiedenen europäischen Staaten.
Zahlreiche historische Verweise im Text beziehen sich auf die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland und ziehen Parallelen zu aktuellen und in der jüngeren Vergangenheit zu findenden rechtsextremen und menschenverachtenden Haltungen. Faber selbst sagt dazu in einem Interview mit Charlotte Köhler in der taz vom 5. August 2019: “Es waren viele Auslöser, die mich dazu bewegten, den Text zu schreiben. Wie etwa die rechten Aufstände in Chemnitz oder auch Seehofers Äußerung, der es als amüsant empfand, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Flüchtlinge abgeschoben wurden. Da kam viel Entsetzen zusammen, das ich dann textlich verarbeitet habe.”
Die Diskussion um die Seenotrettung findet allein durch den Songtitel seinen Niederschlag. Geflüchtete, die im Mittelmeer ertrinken, Rettungsboote mit Geflüchteten, die nicht an Land gehen dürfen, europapolitische Debatten über die Verteilung geflüchteter Menschen und der Streit um Zuständigkeiten sind sicher Anlass genug für einen Song wie DAS BOOT IST VOLL und zeigen “das Grundentsetzen darüber, dass es auf die Frage, ob man Menschen rettet, zwei mögliche Antworten gibt. Nämlich ja oder nein. Wenn man an diesem Punkt angelangt ist, dann läuft etwas auf einem ganzen Kontinent gehörig falsch” (ebd.).
Die Themen Flucht und Seenotrettung hat Faber bereits auf seinem Album Sei ein Faber im Wind von 2017 in dem Lied “Wer nicht schwimmen kann, der taucht” aufgegriffen, so dass er sich in DAS BOOT IST VOLL quasi selbst zitiert. Dies verdeutlicht, dass auch nach zwei Jahren kein gesellschaftlicher Konsens, geschweige denn eine Lösung gefunden werden konnte. Gerade deswegen nimmt sich Faber erneut der Problematik an und artikuliert seine Wut über die anhaltende politische Situation in Europa und in Deutschland.
Auch wenn sich Faber als Künstler nicht dazu verpflichtet fühlt, politische Verantwortung zu übernehmen, sieht er sich doch als “politischer Künstler” (fabermusik 2019): “Kunst im Allgemeinen kann Menschen berühren und sie dazu bewegen, etwas zu verändern. Auf diese Weise kann man als Künstler seinen Beitrag zur Gesellschaft leisten” (Köhler 2019). So fordert er folgerichtig in der oben genannten Folge von aspekte: “Liebe Helene Fischer, mach doch mal ein politisches Album. Der Impact wär viel größer.”
III. Analyse
DAS BOOT IST VOLL ist ein politischer Song. Der Ausspruch “Das Boot ist voll” wird in Deutschland im Hinblick auf die Flucht- und Migrationsdebatte seit vielen Jahren als politische Metapher verwendet, um zu verdeutlichen, dass die Nation angeblich vor dem Untergang steht. “Wenn das Boot voll ist und wir dennoch mehr Menschen an Bord nehmen, würde das Boot sinken […] Für die Insassen des Bootes eine lebensbedrohliche Situation” (Wehling 2007, S.182). Durch dieses Sprachbild werden rassistische Abwehrmechanismen und der Wunsch nach Abgrenzung bis hin zur Abschottung gegenüber Kriegs- und Armutsopfern hervorgerufen. “Äußerungen der Art ‘Das Boot ist voll’ sind besonders in der Politik oft und gern gebrauchte stereotype Wendungen, die offensichtlich nicht reflektierte, irrationale Reaktionen zum Ziel haben. […] [D]as Ziel ist Machtgewinn auf Kosten von bewußt Ausgegrenzten” (Königsperger 1991: 238 ff). Ähnliches gilt sicher im gleichen Maße für weitere politische Metaphern wie “Flüchtlingswelle” und “Flüchtlingsflut”, die das ‘nationale Boot’ zum Kentern zu bringen drohen.
Im Pre-Refrain gelingt es Faber die Realität der Flüchtlinge der Metapher gegenüberzustellen: “Das Boot ist voll. Schreien sie auf dem Meer. Ja, das Boot ist voll. Schreist du vor dem Fernseher.” Wie in allen seinen Songs schlüpft Faber auch in DAS BOOT IST VOLL in eine Rolle. Auf seiner Homepage heißt es dazu: “Viele Leute verstehen nicht sofort, was Faber da macht: Dass er sich in seinen Songs in Rollen hineinversetzt. […] Wegen dieser Rollenspiele ecken seine Songs an. Weil einige Leute nicht auseinanderhalten können oder wollen, was da nun authentisch ist und was nicht” (fabermusik 2019). Auch in dem Booklet zur CD knüpft er an Fragen nach Authentizität und Identität an: “Ich bin nicht Faber – alles negieren” und verweist damit auf den ersten Satz in dem Roman Stiller des Schweizer Schriftstellers Max Frisch: “Ich bin nicht Stiller!” (Frisch 1976: 361). In dem Roman steht ebenfalls die Suche nach Identität beziehungsweise die Ablehnung von festgelegten Rollenzuweisungen im Mittelpunkt.
Unabhängig von der Entscheidung, welches lyrische Ich Faber wählt – er erzählt stets homodiegetisch, ist Teil des Geschehens im Wechsel zwischen einem Beobachtenden und der Hauptfigur, nutzt also eine multiple interne Fokalisierung. Durch die Ansprache ist die erzählte Zeit der Erzählzeit gleichzusetzen, auch wenn er sich verschiedener Rückblicke bedient (vgl. Martinez/Scheffel 2016: 70 ff.).
DAS BOOT IST VOLL besteht aus zwei Strophen, einem Pre-Refrain und dem Refrain. In den ersten fünf Zeilen der ersten Strophe nimmt Faber die Rolle desjenigen ein, der dem Nationalsozialismus durchaus gute Seiten abgewinnen kann: “Früher war auch nicht alles schlecht / Sieht man an der Autobahn / Ihr wärt auch traurig, gäb es keinen Volkswagen / Wolfsburg Geniestreich / Logisch denkt man dann schon mal ans Dritte.” Die Volkswagen AG wurde 1938 gegründet, nachdem Hitler den Auftrag erteilte, ein “Volksauto” zu bauen. Ebenso wird Hitler der Bau von Autobahnen in manchen (rechten) Kreisen als Errungenschaft angerechnet. Damit führt Faber zwei der “Prestigeprojekte” des sogenannten Dritten Reichs auf und bedient sich direkt im Anschluss sarkastisch der Holocaust-Verleugnung: “Das mit den Juden, das muss man erst beweisen / Den Scheiss aus den Geschichtsbüchern muss man dir nicht zeigen.” Mit diesen Zeilen wechselt er bis zum Ende des Songs die Perspektive und spricht die Befürworter*innen rechtsextremer Positionen direkt an. “Du lässt dich nicht für dumm verkaufen. Wie schlau von dir.” Dabei nutzt er das Stilmittel des Chiasmus und stellt zwei Gegensätze “dumm” und “schlau” einander gegenüber, wobei das letztgenannte Adverb ironisch zu verstehen ist. Gleiches verwendet er im Anschluss an den Pre-Refrain: “Wer schneller glaubt, wird schwerer klug.” Im weiteren Verlauf der ersten Strophe geht er auf brennende Asylzentren ein, die er mit einem lapidaren “Ups, das Haus brennt” und einem sensationslüsternen “Mal sehen, wer hier am schnellsten rausrennt” kommentiert. Hier versetzt er sich in die Rolle des rechtsextremen Beobachters, der achselzuckend und menschenverachtend Gewalt an Hilfesuchenden hinnimmt oder gar befürwortet.
Durch die direkte Anrede entsteht vermeintlich eine Sprache der Nähe und Empathie, die jedoch durch den Rollenwechsel und den verwendeten Sarkasmus wieder gebrochen wird. Dieser Bruch wird insbesondere im Hauptrefrain deutlich, der sich eines Wortspiels bedient: “Besorgter Bürger, ich besorg’s dir auch gleich!” Das Bild des “besorgten Bürgers” wird gerne bemüht, um rechtsextremes Gedankengut mit Sorge um das Gemeinwesen und um den Verlust von Werten und (deutscher) Kultur zu ummanteln. Mit dem Verb “besorgen” verwendet Faber Umgangssprache. Es heißt hier so viel wie “es jemandem heimzahlen” oder auch “jemanden geschlechtlich befriedigen”. Es enthält eine gewalttätige, sexuelle Konnotation. Dem “besorgten Bürger”, dessen Sorge in Menschenverachtung mündet, stellt sich Faber somit drohend entgegen. Ihm wird im Refrain mit der gleichen Verachtung und Wut begegnet, die er Geflüchteten entgegenbringt.
Die zweite Strophe beginnt mit der Inschrift des Konzentrationslagers Buchenwald “Jedem das Seine”, die für die Häftlinge von innen lesbar angebracht war und die Faber – aus Sicht der Erzählinstanz und unter Verwendung indirekter Rede – als “weise Worte” zitiert. Dieser Ausspruch ist abgeleitet aus dem lateinischen suum cuique und bedeutet im Sinne einer allgemeingültigen Gerechtigkeit, “den festen und beständigen Willen, jedem sein Recht zukommen zu lassen.” (Bautze1998: 94) Die Nationalsozialisten pervertierten diesen Ausspruch für ihre Zwecke. Er bildet eine Ellipse durch die grammatikalische Unvollständigkeit. Durch die fehlende Definition, was “das Seine” beinhaltet, bleibt er abstrakt und ist deshalb nicht vor Zynismus geschützt.
Direkt im Anschluss zitiert er die der französischen Königin Marie Antoinette zu Beginn der Französischen Revolution zugeordnete Frage: “Haben die kein Brot zu essen, warum essen die nicht Torte?” Auch wenn das Zitat in dieser Übersetzung inzwischen angezweifelt wird, beschreibt es doch die Dekadenz und den Hochmut, mit dem damals dem Hunger der französischen Bevölkerung begegnet wurde. Das Zitat wird in dem Song in einen aktuellen Kontext gestellt.
Am Schluss der zweiten Strophe erfolgt – sozusagen als Auflösung – die Gegenüberstellung der zwei Perspektiven: “Du fühlst dich nicht mehr wohl in deiner Haut und manchmal auch allein / Ja, fremd im eigenen Land / Ich fühl mich nicht mehr wohl in meiner Haut und manchmal auch alleine / So fremd wie du war mir noch keiner.” Hier vereint Faber verschiedene Stilmittel, zum einen eine Synekdoche (“sich in seiner Haut nicht wohlfühlen”), wobei “Haut” ein Pars pro Toto für den Körper und die Gesamtheit des Menschen bildet und zum anderen greift er mit der Zeile “Fremd im eigenen Land” den gleichnamigen und inzwischen vielzitierten Titel von Advanced Chemistry aus dem Jahr 1992 auf und verweist damit auf die erste Welle von Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Auch hier bedient er sich erneut eines Chiasmus durch die Gegenüberstellung von “fremd” und “eigen”.
DAS BOOT IST VOLL ist eine in Moll komponierte Ballade und erfährt durch die Tonart eine melancholische Tiefe. In weiten Teilen des Liedes steht das Klavier im Vordergrund, stellenweise unterbrochen von Rückkopplungen einer E-Gitarre und Synthesizer-Sounds. Insgesamt ist die Instrumentalbegleitung zurückgenommen und verbindet klassische mit modernen Elementen, so dass Fabers – insbesondere für sein Alter – ungewöhnliche Stimme gut zur Geltung kommt. Er beginnt den Song mit sehr tiefer, ruhiger, fast einschmeichelnder Stimme, die er während der ersten Strophe bis zum Pre-Refrain beibehält. Im Pre-Refrain wird er leidenschaftlicher und die Stimme rauer und heiserer. Diese Stimme steigert er bis zum Ende des Refrains. Die zweite Strophe beginnt stimmlich wieder ruhiger, wird aber im Verlauf wieder rauer und lauter, bis er am Schluss das “so fremd wie du war mir noch keiner” anklagend und voller Wut mit fast kippender Stimme singt. Der Song lässt sich als Ballade einordnen.
In DAS BOOT IST VOLL findet sich die klassische aristotelische Dramenform, die sich noch klarer in dem dazugehörigen Musikvideo zeigt. Zu Beginn des Videos sieht man bereits unheilverkündend und als Exposition einen Menschen in einem blutigen Hemd einen Strand entlang rennen. Kurz darauf wird Faber in einem weißen Anzug an einem weißen Flügel performend am Strand gezeigt, im Hintergrund das Meer. Tourist*innen beten die Sonne an, ein Vater geht mit seinem Sohn den Strand entlang, Bikini-Schönheiten machen Selfies, der Mensch in dem blutigen Hemd bedient die Bildzeitung lesenden Tourist*innen. Bei der Zeile “Asylzentrum, ups das Haus brennt”, wird im Video der Würstchen-Grill angeworfen. Anhand dieser Bilder werden der Konflikt zwischen Armut und Reichtum und das Motiv des Wohlstands auf Kosten anderer aufgegriffen. Eine Steigerung des Konflikts zeigt sich in der folgenden Szene: Zwei Kinder beobachten einen im Todeskampf zappelnden, an Land gespülten Fisch. Der Junge zertritt ihn ohne ein Zeichen jedweder Empathie, dazu erklingt der Refrain: “Wenn sich 2019 ’33 wieder einschleicht. Wenn Menschlichkeit und Verstand deiner Wut weicht.”
Dieses Verhalten führt zu einem Wendepunkt und zur Katastrophe: In der Ferne tauchen mit Beginn der zweiten Strophe vier Reiter auf. Unter den Tourist*innen entsteht Unruhe, Angst zeigt sich in den Gesichtern. Entsprechend der biblischen Vorhersage (“die vier apokalyptischen Reiter”) werden die Menschen niedergemetzelt, Tod und Niedergang tritt ein und das Ende der irdischen Existenz wird eingeläutet. Etwa die letzten zwei Minuten des Songs werden nur noch instrumental begleitet. Faber sitzt im Licht der untergehenden Sonne am Flügel. Mit Einsetzen der Streicher verlässt auch er für die restlichen 52 Sekunden des Songs das Bild. Die Läuterung bzw. die Katharsis setzt in Form einer vom Menschen befreiten Welt ein.
Die Streicher am Ende weichen von der Albumfassung des Liedes ab, die mit einer Spieldauer von 2:54 Minuten etwa eine Minute kürzer als die Videoversion ist. Allerdings befindet sich auf dem Album als Einleitung zu DAS BOOT IST VOLL ein Intermezzo, das Faber im Video an das Ende des Stückes stellt und das aufgrund der Streicherbesetzung klassisch anmutet.
Nicht nur in seinen Texten, sondern auch in Bezug auf sein Image spielt Faber mit verschiedenen Rollen. So lehnt sich das Cover von I fucking love my life an die Gestaltung der Frontseite von Boulevardzeitungen an. Die Homepage ist ebenso in dieser Weise gestaltet und bewirbt DAS BOOT IST VOLL als “Skandalsingle” (Stand: Dezember 2019). Faber selbst stellt sich auf den im Paparazzi-Look gehaltenen Fotos als abgehalfterter Lebemann dar und reagiert damit ironisch auf mediale Zuschreibungen wie “Macho” oder “Sexist”.
IV. Rezeption
Das Album I fucking love my life belegte eine Woche nach Erscheinen Platz 3 der deutschen Albumcharts. DAS BOOT IST VOLL wurde einer breiteren Öffentlichkeit als erste Single-Auskopplung des Albums I fucking love my life am 26. Juli 2019 bekannt. In dieser ursprünglichen Fassung lautete ein Teil des Refrains: “Geh auf die Knie, wenn ich dir meinen Schwanz zeig / Nimm ihn in den Volksmund, blond‚ blöd‚ blau und rein” (Steffes-Lay 2019).
Eigenen Angaben zufolge (vgl. Köhler 2019) schrieb Faber – unabhängig von und vor den diversen kritischen Äußerungen zum Refrain des Liedes – mit folgender Begründung auf Facebook und Instagram eine neue Version: “Ich ersetze die erste Single […] mit einer neuen, stärkeren Version. Das Lied und das Thema liegen mir zu sehr am Herzen [sic] um es bei einer Version zu belassen [sic] mit der ich nicht absolut zufrieden bin. Vor allem will ich nicht, dass ihr nach so wichtigen Strophen nur noch den Schwanz-Refrain im Kopf habt.” Die offiziellen Zeilen lauten seit dem 1. August 2019: “Wenn sich 2019 ’33 wieder einschleicht. Wenn Menschlichkeit und Verstand deiner Wut weicht” (CD-Booklet I fucking love my life 2019).
Seitdem wird DAS BOOT IST VOLL kontrovers diskutiert. Die Refrain-Änderung wird ihm etwa als “Promo-Aktion” ausgelegt. Manche stören sich nach wie vor an dem Refrain wegen der Zeile “Ich besorg’s dir auch gleich”, andere bescheinigen Faber eine unverschämte Ambivalenz, die großen Spaß mache: “[A]uch die entschärfte Version ist eine mit heiserer Verachtung am Piano gesungene Klage gegen Rechtsruck, Rassismus und Kaltherzigkeit gegenüber Fremden und Flüchtlingen” (Borcholte 2019). Andere konstatieren: “Dabei bleibt es nicht aus, dass er sich auch verhebt. Interessanterweise vor allem bei Liedern, in denen er es ausdrücklich gut meint. Die wütende antirassistische Vorabsingle ‘Das Boot ist voll’ zum Beispiel ist auch ohne die nachträglich rausgestrichene Vergewaltigungsfantasie viel zu (d)oller Holzhammer” (Götz 2019).
Faber wird auf der einen Seite als Gegenpol zum Wohlfühl-Pop beschrieben, als uneindeutig, sarkastisch, polarisierend und sprachgewaltig, auf der anderen Seite werden ihm fehlende politische Korrektheit und Sexismus vorgeworfen. Damit ist eine Diskussion angestoßen worden, die die Frage beinhaltet, wie viel und ob Political Correctness in künstlerischen Werken erforderlich ist und inwieweit Künstler*innen sich dieser unterwerfen müssen. Für Faber ist diese Frage durchaus nlass zur Selbstkritik. So singt er das Lied “Sei ein Faber im Wind” mit der Zeile “Warum, du Nutte, träumst du nicht von mir?”, nicht mehr live, weil das Mitgrölen durch 4.000 alkoholisierte Zuhörer*innen den Charakter des Liedes verändert habe (vgl. Fendt 2019). Gleichzeitig konstatiert er: “Es gibt genug eindeutige Musik in Deutschland” (ebd.).
MAREN SIEGEL
Credits
Gesang: Faber
Music/Writer/Songwriting: Faber
Producer: Faber & Goran Koč y Vocalist Orkestar Band, Timo Keller, Tim Tautorat
Cello, Juno: Janos Mijnssen
Piano: Goran Koč
Gitarre: Max Kämmerling
Violine, Piano: Tim Tautorat
Violine: Michel Gsell
Cello: Joachim Flüeler
Label: Irrsinn Tonträger, Vertigo Berlin
Format: CD
Recorded: 2019
Published: 2019
Length: 2:54
Recordings
- Faber. Alles Gute, 2015, Two Gentleman Records, TWOGTL 060-2, Switzerland (CD, EP).
- Faber. Abstinenz, 2016, Two Gentleman Records, TWOGTL 066-2, Switzerland (CD, EP).
- Faber. Sei ein Faber im Wind, 2017 Vertigo, 5756435, Germany (CD, Album).
References
- Bautze, Kristina: Gerechtigkeit. In: Wörterbuch zur Mikropolitik. Hg. von Peter Heinrich Jochen Schulz Wiesch. Wiesbaden: VS 1998. URL: https://doi.org/10.1007/978-3-663-11890-9_40 [22.12.2019].
- Borcholte, Andreas: Die neuen Leiden des jungen F. In: Spiegel-Online, 11.2019. URL: https://www.spiegel.de/kultur/musik/abgehoert-neue-musik-faber-moor-mother-apache-207-sebastian-a-1294840.html [30.12.2019].
- CD-Booklet: I fucking love my life, 2019.
- Fendt, Miriam: “Warum Fabers Message manchmal falsch ankommt?”. In: Bayrischer Rundfunk Puls Musik-Analyse, 11.2019. URL: https://www.br.de/puls/musik/aktuell/faber-puls-musik-analyse-100.html [22.12.2019].
- Frisch, Max: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge, Band III 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1976.
- Götz, Oliver: “Faber – ´I fucking love my life´”. In: Musikexpress, 10.2019. URL: https://www.musikexpress.de/reviews/faber-i-fucking-love-my-life/ [29. 12.2019].
- Hönigsperger, Astrid: Das Boot ist voll – Zur Metapher in der Politik. In: Folia Linguistica 25/1–2 (1991), 229 –241. URL: https://www.degruyter.com/view/j/flin.1991.25.issue-1-2/flin.1991.25.1-2.229/flin.1991.25.1-2.229.xml [22.12.2019].
- Köhler, Charlotte: “Politische Musik ohne Correctness”. In: Taz, 05.08.2019. URL: https://taz.de/Faber-Saenger-ueber-die-Grenzen-der-Kunst/!5614006/ [22.12.2019].
- Mahlberg, Sarah: “Faber mit I fucking love my life jetzt auch mit Streichern”. In: Deutschlandfunk, 10.2019. URL: https://www.deutschlandfunk.de/faber-mit-i-fucking-love-my-life-jetzt-auch-mit-streichern.807.de.html?dram:article_id=461708 [01.01.2020].
- Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie, 10. Überarbeitete und aktualisierte Ausgabe. München: C.H. Beck 2016.
- Roth, Stefan: Faber, der spannendste Popmusiker der Schweiz. In: Badische Zeitung, 7.2017. URL: https://www.badische-zeitung.de/rock-pop/faber-der-spannendste-popmusiker-der-schweiz–139363227.html [20.12.2019].
- Steffes-Lay, Friedrich: Fabers Reaktion auf die Vergewaltigungs-Kritik ist enttäuschend. In: Musikexpress, 01.08.2019. URL: https://www.musikexpress.de/fabers-reaktion-auf-die-vergewaltigungs-kritik-ist-enttaeuschend-1320323/ [29.12.2019].
- Volkmann, Linus: Kaput-Magazin, 02.08.2019. URL: https://kaput-mag.com/kolumne_de/glied/ [12.2019].
- Wehling, Elisabeth/Lakoff, Georg: Auf leisen Sohlen ins Gehirn – Politische Sprache und ihre heimliche Macht. Heidelberg: Carl Auer 2007.
Links
- Aspekte: Faber im Interview mit Jo Schück, ausgestrahlt am 7. Juli 2017 im ZDF. URL: https://www.youtube.com/watch?v=DUwC3tgvR1w (in der Mediathek nicht mehr verfügbar) [20.12.2019].
- Discogs. URL: https://www.discogs.com/artist/5481382-Faber-11 [20.12.2019].
- Homepage. URL: www.fabermusik.de [22.12.2019].
- Offizielle Charts. URL: https://www.offiziellecharts.de/charts/album [20.12.2019].
About the Author
All contributions by Maren Siegel
Citation
Maren Siegel: “Das Boot ist voll (Faber)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, https://www.songlexikon.de/songs/das-boot-ist-voll, 11/2024.
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