1979
Pink Floyd

Comfortably Numb

1965 gegründet, entwickelten sich Pink Floyd zu einer der einflussreichsten Bands der Rockmusikgeschichte. Mit ihren psychedelischen Klangwelten und Soundexperimenten gelten sie in vielerlei Hinsicht als musikalische Pioniere. Mit dem Album The Dark Side of the Moon gelangte die Band 1973 zu Welterfolg, der sich mit Alben wie Wish You Were Here (1975) und The Wall (1979), auf dem COMFORTABLY NUMB enthalten ist, fortsetzte.

 

I. Entstehungsgeschichte

Die Zeit rund um die Entstehung des Albums am Ende der 1970er Jahre war allgemein von schweren Zerwürfnissen innerhalb der Band geprägt. Bassist Roger Waters, zunehmend erzürnt über die Trägheit und Einfallslosigkeit seiner Musikerkollegen, legte der Band im Frühjahr 1979 ein Konzept für zwei Alben vor, darunter auch ein Projekt namens The Wall, wofür er die Songs bereits geschrieben hatte. Ein Song, der später auf dem Album zu einem musikalischen Glanzstück werden sollte, war noch nicht unter den von Waters vorgefertigten Demos: COMFORTABLY NUMB. Der Song entsprang der Feder von Gitarrist David Gilmour und wurde nachträglich mit einem von Waters geschriebenen Text zu den bestehenden Songs hinzugefügt. Über die genaue Urheberschaft herrscht bis heute Uneinigkeit zwischen den beiden Musikern.

Neben bandinternen Querelen spielte auch Geld während des Aufnahmeprozesses eine große Rolle, da eine Investmentfirma das Vermögen der Band verspekuliert hatte. So wurden etwa die Gehälter der Produzenten James Guthrie und Bob Ezrin so gering wie möglich gehalten; die Musiker selbst, namentlich Waters, Gilmour und Mason, übernahmen Teile der Produktionskosten. Roger Waters zeichnete nicht nur für das Konzept und Songwriting verantwortlich, er leitete auch die Produktion und Vermarktung des Albums in gleichsam diktatorischer Manier und feuerte und engagierte Mitarbeiter respektive Mitmusiker einzig nach dem Kriterium der Zuträglichkeit für das Projekt. So fiel unter anderem Keyboarder und Gründungsmitglied Richard Wright seinem diktatorischen Gebaren zum Opfer und verließ die Band im Laufe der Aufnahmen.

Von Anfang an plante Waters eine aufwendige Liveshow sowie einen Film zum Album zu produzieren. Was zunächst als theaterhafte Inszenierung auf den Konzerten mit Roger Waters als Hauptdarsteller geplant war und durch Livemitschnitte zu einem Film zusammengefügt werden sollte, erwies sich in der Form als nicht umsetzbar.

Kennzeichnend für die Bühnenshow (inszeniert von Mark Fisher und Jonathan Park) war, dass die Band hinter einer Mauer verschwand, die Stein um Stein errichtet wurde. Gerald Scarfe, der bereits das Artwork für das Albumcover übernommen hatte, steuerte Animationen bei, die während der Show auf die Mauer projiziert wurden. Teile von Scarfes Animationen flossen in den nachträglich zum Album gedrehten Film, für welchen Roger Waters das Drehbuch schrieb, Alan Parker Regie führte und Bob Geldof die Hauptrolle übernahm. Einige Songs wurden eigens für den Dreh überarbeitet, so ergänzte beispielsweise der Filmmusikkomponist Michael Kamen, der schon für die Streicherarrangements auf The Wall verantwortlich war, einige Stücke.

 

II. Kontext

COMFORTABLY NUMB, wie auch das gesamte Album, sind stark autobiografisch geprägt. Waters schildert das Heranwachsen des Jungen Pink in einer vaterlosen, von mütterlicher und pädagogischer Autorität geprägten Nachkriegszeit, welche das Individuum in faschistoider Manier erstickt. Aus dem Jungen Pink wird ein Rockstar, der sich wahnhaften Allmachtsfantasien und Drogenexzessen hingibt und eine mentale Mauer errichtet, hinter der er sich von seiner Umwelt und der Realität entfernt sowie entfremdet. In der Figur des Rockstars verarbeitet Waters Erfahrungen seiner eigenen Karriere als Musiker in einem kräfteraubenden und “kalten” Showgeschäft. Speziell in COMFORTABLY NUMB verweist er auf eine biografische Begebenheit, als er nämlich trotz schlechter körperlicher Verfassung von seinem Management und Medizinern überredet wurde, Konzerte zu spielen, um etwaige finanzielle Einbußen zu vermeiden.

 

III. Analyse

Geht man nach dem Film-Plot, lässt sich Folgendes über die narrative Verankerung des Songs sagen: Der Rockstar Pink hat sich nach einem psychotischen Aus- und Zusammenbruch in seinem Zimmer eingeschlossen und befindet sich in einem komatösen Zustand, in welchem er sich an Szenen aus seiner Kindheit erinnert. Durch das Erscheinen seines Managements und eines Arztes, der ihn “bühnentauglich” spritzen soll, werden diese Erinnerungen unterbrochen und Pinks Geist oszilliert während des Songs zwischen innerer und äußerer Welt, zwischen Erinnerung und Gegenwart, vor und hinter der Mauer. Diese Spannung zwischen innerer und äußerer Welt wird kompositorisch in einem Dialog zwischen dem Arzt und Pink umgesetzt. In diesem Punkt bildet COMFORTABLY NUMB eine Ausnahme auf The Wall, das insgesamt stark subjektiv geprägt ist und kaum eine andere Erzählposition als die der Hauptfigur zulässt.

Die Rolle des Arztes übernimmt Roger Waters, dessen dezent krächzende Stimme in den Strophen versucht, in Pinks Bewusstsein zu vorzudringen. Waters melodramatischer Gesang in h-Moll wirkt bedrohlich, fast hinterhältig und versinnbildlicht Pinks Abneigung gegen die äußere Welt und das Showgeschäft. Der Arzt versucht herauszufinden, wo der Schmerz sitzt, um ihn betäuben zu können. Jedoch ist Pinks Leiden nicht physischer Natur, und der Schmerz, den der Arzt meint, ist Pinks Versuch, sich in seiner Isolation zu einem Ganzen, einer stabilen Persönlichkeit zusammenzufügen. Die vermeintliche Hilfe, das Zurückholen in die äußere Welt wird seine Abneigung verstärken und den Wunsch nach Rückzug hinter die eigene Mauer bekräftigen. Im Refrain antwortet Pink dem Arzt schließlich: “There is no pain you are receding …”; im Weiteren versucht er seinen Geisteszustand zu erklären. Pinks Rolle in diesem Song fällt David Gilmour zu, dessen raue, aber hohe Stimme nicht nur einen Kontrast zu Waters bildet, sondern gleichsam in den Kontext eines fantastischen Geisteszustands passt. So wechselt das tonale Zentrum des Stückes im Refrain vom eher düsteren h-Moll nach D-Dur, welches durch seinen “helleren” Charakter in den nostalgischen und verträumten Kontext von Pinks Kindheitserinnerungen passt (herbeigeführt wird dieser musikalische Ausdruckscharakter zudem durch die sanften, ostinaten Streicherfiguren). Pink bringt seine Isolation bildreich zum Ausdruck, wenn er dem Arzt erklärt “You are only coming through in waves”, wie “distant ship, smoke on the horizon”. Alles Wahrgenommene liegt in weiter Ferne, entweder wie der Dampf eines entfernten Schiffes oder aber wie Pink als ebendieses Schiff, welches sich dahintreibend von allem wahrnehmbaren Äußeren entfernt. Weiter versucht er dem Arzt, aber wohl auch sich selbst, seinen Zustand zu erklären. Wie in einem schweren Fieber, das er als Kind hatte, fühlen sich seine Hände nun genauso geschwollen an wie damals. In dieser Erinnerung an das kindliche Krankheitsgefühl, das er nun als erwachsener Mensch wieder empfindet, liegt eine große Hilflosigkeit, wodurch er sich immer mehr hinter seine schutzgebende Mauer zurückzieht. Dieser kindliche Zustand konkretisiert sich außerdem im Unvermögen, sich artikulieren und seinen Zustand verständlich machen zu können: “I can’t explain, you would not understand / This is not how I am”. Unter Drogeneinfluss, in Erinnerungen und Visionen zurückgezogen, hat er schließlich einen Zustand erreicht, in dem er sich “angenehm taub” fühlt.

Nach dem Refrain setzt das erste von zwei Gitarrensoli ein, das sich in die songpoetische Atmosphäre eines milden, fantastischen Zustands eingliedert. Es wirkt wie ein Sich-Hingeben in diesen Zustand, der mit dem wiederholten, sich selbst versichernden Satz “I have become comfortably numb” beendet wird.

Nach dem Gitarrensolo setzt die zweite Strophe ein, in der der Arzt Pink eine “kleine Spritze” (“little pinprick”) verabreicht, etwas, was ihn aus seinem komatösen Zustand holen und auf die Bühne bringen soll. Während Pink zum Konzert gezerrt wird (“Come on, it’s time to go”), setzt der Refrain abermals ein. Wieder singt Pink von seiner entfernten Wahrnehmung. Im zweiten Teil dieses Refrains offenbart er eine weitere Kindheitserinnerung: “When I was a child / I caught a fleeting glimpse”. Was dieser flüchtige Blick gewesen sein könnte, bleibt offen. Die Aussage ist hier, dass dieser kindliche, fantastische Zustand nicht mehr besteht, da Pink nun erwachsen und der Traum seiner Kindheit, woraus auch immer er bestanden hat, vergangen ist.

Nach dem zweiten Refrain setzt auch das zweite Gitarrensolo ein, das in seiner Grundstimmung deutlich düsterer und schroffer als das erste ist (gespielt in h-Moll bzw. auf der Akkordfolge der Strophen). Dramaturgisch gesehen wird Pinks Zurückgleiten in die wirkliche Welt und sein sich parallel verschlechternder Geisteszustand dargestellt. Er wird in Richtung Konzert gezerrt, in dessen Zuge sich sein Selbstbild als faschistischer Agitator zeigt.

 

IV. Rezeption

COMFORTABLY NUMB gilt vielen als einer der bedeutendsten Pink-Floyd-Songs. Das hängt vor allem mit der Koproduktion von Roger Waters und David Gilmour zusammen, die dem Song jeweils ihren Stil verliehen und dadurch die prägnantesten Merkmale und auch Gegensätze von Pink-Floyd-Kompositionen in einem Werk vereinen. Gilmours verträumte und gleichsam mystische Komposition, die zugänglicher scheint als die übrigen Stücke des Albums, wird von Waters nachdenklichen und zum Teil schroffen Lyrics in das Konzept des Albums integriert.

Der Song rangiert auf der Liste der 500 besten Songs aller Zeiten (500 Greatest Songs of All Time), veröffentlicht durch den Rolling Stone, auf Platz 321. The Wall ist das bis heute meistverkaufte Doppelalbum aller Zeiten und rangiert im Rolling Stone auf Platz 87 der 500 besten Alben aller Zeiten (500 Greatest Albums of All Time). Das zweite Gitarren-Solo wurde vom Magazin Guitar World auf Platz 4 der 100 besten Gitarrensoli gewählt.

 

EMANUEL WINKLER


Credits

Gesang: Roger Waters, David Gilmour
Gitarre: David Gilmour
Bass: Roger Waters
Keyboard: Bob Ezrin
Schlagzeug: Nick Mason
Orchesterarrangements: Michael Kamen
Text: Roger Waters
Musik: David Gilmour
Produzenten: Roger Waters, David Gilmour, Nick Mason, Bob Ezrin, James Guthrie
Aufnahmen: April bis November 1979
Label: Columbia

Recordings

  • Pink Floyd. “Comfortably Numb”. On: The Wall, 1979, Columbia, PC2 36183, US (2xVinyl/Album).
  • Pink Floyd. “Comfortably Numb”. On: Delicate Sound of Thunder, Columbia, C2K 44484, US, 1988 (2xCD/Album).
  • Pink Floyd. “Comfortably Numb”. On: Pulse, Columbia, C2K 67065, US, 1995 (2xCD/Album).

References

  • Anonym: “500 Greatest Songs of All Time”In: Rolling Stone, 11.12.2003. https://www.rollingstone.com/music/music-lists/500-greatest-songs-of-all-time-151127/pink-floyd-comfortably-numb-44327/ [29.04.2021].
  • Anonym: “500 Greatest Albums of All Time”. In: Rolling Stone, 31.05.2009. https://www.rollingstone.com/music/music-lists/500-greatest-albums-of-all-time-156826/pink-floyd-the-wall-152799/ [29.04.2021].
  • Manning, Toby: Rough Guide Pink Floyd. Die Geschichte, die Musik, der Sound. Königswinter: Heel 2008.
  • Schaffner, Nicholas: Pink Floyd. Vom Underground zur Rock-Ikone. Höfen: Verlagsgruppe Koch 2004.

Films

  • The Wall. Regie: Alan Parker, 1979, SMV Enterprises (DVD).

About the Author

Analysis written in a course of Prof. Dr. Thomas Krettenauer at the University of Paderborn.
All contributions by Emanuel Winkler

Citation

Emanuel Winkler: “Comfortably Numb (Pink Floyd)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/comfortably-numb/, 07/2021.

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