1995
Shaggy

Boombastic

Shaggy gilt bis heute als kommerziell erfolgreichster Musiker Jamaikas, der zugleich Elemente der Dancehall-Musik für den internationalen Popmusikmarkt zugänglich machen konnte. Der Song BOOMBASTIC nimmt eine zentrale Rolle in der Karriere des Sängers ein, verhalf ihm zum internationalen Durchbruch und wurde 1995 ein Welthit.

 

I. Entstehungsgeschichte

Aufgenommen wurde BOOMBASTIC bereits im Mai 1994 für das über ein Jahr später erschienene gleichnamige Album und folgte “In the Summertime” im Juni 1995 als zweite Singleauskopplung. Im Februar desselben Jahres bekundete der Textilkonzern Levi Strauss & Co. Interesse an der Verwendung des Songs für einen Werbespot, der schließlich zur massenhaften Verbreitung von BOOMBASTIC beitrug (vgl. Locilento 2002: 133 f.).

 

II. Kontext

In den frühen 1990er Jahren rückte eine neue Generation jamaikanischer Sänger in das Blickfeld der breiten Öffentlichkeit, die mit den in den 1970er Jahren international bekannt gewordenen Größen des Roots Reggae wie Bob Marley, Peter Tosh oder Burning Spear zunächst nur wenig gemeinsam zu haben schien. Im Umfeld politischer Umbrüche und bisweilen bürgerkriegsähnlicher Zustände wuchs in den 1980er Jahren auf Jamaika mit Dancehall ein neues musikalisches Genre heran, das seine inhaltlichen Inspirationen nun aus den lebensweltlichen Realitäten urbaner Ghettos der Karibikinsel bezog. Sänger wie Beenie Man, Buju Banton, Luciano und auch Shaggy trieben schließlich in den 1990er Jahren die internationale Verbreitung dieser Form jamaikanischer Popmusik weiter voran. Jedoch waren das Auftreten der Künstler und vor allem die Inhalte der Texte bisweilen nur bedingt mit den Normen des internationalen Musikmarkts vereinbar. Insbesondere seit den späten 1980er Jahren waren die Texte vom Phänomen “Slackness” geprägt – Frauen, Sexualität und männliche Potenz als zentrale Themen dies- und jenseits des Pornografischen bestimmten die Dancehall-Lyrics (vgl. Pfleiderer 2011: 168). Hinzu traten gewaltverherrlichende “Gun”- sowie explizit homophobe “Battyman”-Tunes und Mischformen beider Ausprägungen. Als prominentestes Beispiel dieser Art gilt der Song “Boom Bye Bye” von Buju Banton, dessen Veröffentlichung aufgrund des überaus kontroversen und homophoben Textes zu Auftrittsverboten des Sängers führte. Dennoch galt gerade Buju Banton Mitte der 1990er Jahre als zentraler Vokalist der jamaikanischen Popmusik, der die Härte und Rauheit des Genres repräsentierte. Shaggy hingegen verkörperte als Gegenpart die Variante der Musik, die deutlich von europäischen und US-amerikanischen Klangidealen geprägt war, von kontroversen Textinhalten weitgehend absah und hohe Verkaufserfolge verzeichnen konnte (vgl. Chen/O’Brien Chang 1998: 212 f.). Shaggys massenkompatiblem Image war ferner die Einbindung seiner Songs in verschiedene mediale Kontexte zuträglich. Bereits sein erster großer Verkaufserfolg “Oh Carolina” wurde 1993 für den Soundtrack des Thrillers Sliver – mit u. a. Sharon Stone prominent besetzt – verwendet, BOOMBASTIC schließlich in dem besagten Werbespot für Levi Strauss & Co. zum Einsatz gebracht (vgl. Locilento 2002: 114, 133). In diesem mit Knetfiguren umgesetzten Clip rettet der männliche Protagonist unter Zuhilfenahme einer Levi’s 501 Jeans und zu den Klängen von BOOMBASTIC seinen weiblichen Gegenpart aus einem brennenden Hochhaus. Der Konzern Levi Strauss & Co. war bereits vor diesem Spot für die intensive Einbindung von Popmusik in seine Kampagnen bekannt geworden, u. a. fanden Songs von Ben E. King und Marvin Gaye Einsatz in den Werbevideos. Der Konzern gibt an, infolge des BOOMBASTIC-Clips eine Verkaufssteigerung von 12 % verzeichnet zu haben (vgl. Yeshin 2006: 303). Dieses mediale Setting impliziert zunächst, dass es sich bei BOOMBASTIC um einen internationalen und auf ein möglichst breites Publikum zugeschnittenen Popsong handelt, den mit Dancehall nicht mehr viel zu verbinden scheint. Dennoch weist der Song einige Gestaltungsweisen auf, die Bezüge zu Konventionen jamaikanischer Popmusik erkennen lassen.

 

III. Analyse

Das Instrumental von BOOMBASTIC basiert auf dem von King Floyd 1971 veröffentlichten Song “Baby Let Me Kiss You”, wobei die Instrumente einen Halbton höher erklingen und das Tempo von ca. 75 auf etwa 80 bpm angehoben wurde. Vom Original übernommen wurden der Basslauf, der in BOOMBASTIC bisweilen von einer E-Gitarre gedoppelt wird, und der Schlagzeugbeat, der jedoch im Verlauf des Songs diversen Variationen unterliegt. Setzt sich die Instrumentierung in der Version King Floyds noch aus Schlagzeug, Bass, E-Gitarre, Orgel und Bläsersatz zusammen, kommen in Shaggys adaptiertem Instrumental Schlagzeugbeat, Bass, zwei E-Gitarren, zwei Keyboards und ein Synthesizer zum Einsatz. Die Gitarren werden mit unterschiedlich starker Verzerrung gespielt, die Keyboards orientieren sich an Piano- und Rhodes-Sounds und der Synthesizer steuert vereinzelt Glissandi in tiefer Lage bei. Bass und Schlagzeugbeat sind durchgängig zu hören, die restlichen Instrumentalstimmen werden im Verlauf des Stücks unregelmäßig ein- und ausgeblendet – ein Vorgehen, das durchaus an die Live-Mixing-Techniken des (Dub-)Reggae erinnert. Im Refrain fällt die Instrumentierung dichter aus, in den Strophen erklingen vermehrt die Reggae-typischen Offbeat-Akzente von Gitarre und Keyboard sowie die Glissando-Sounds des Synthesizers. Zu Beginn des Songs kündigt Shaggy diesen in Ansager-Manier an und führt zentrale Textelemente wie “Boombastic” und “Mr. Lover Lover” ein, bevor der erste Refrain erklingt. Derlei Ansagen zur Ankündigung der Künstler oder verschiedener Schlagworte der Songtexte sind sowohl im Dancehall als auch im Hip-Hop nicht unüblich und referieren auf die ursprüngliche Rolle der Vokalisten als Ansager auf Soundsystem- oder Jam-Veranstaltungen. Nach diesem Intro erklingen Refrain und Strophe viermal im Wechsel ohne harmonische Zäsuren, der Song endet schließlich mit dem Refrain. Dieser erklingt folglich fünfmal und damit relativ häufig – ein Indiz dafür, dass der Refrain, wie im Falle kommerziell erfolgreicher Popsongs nicht unüblich, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen soll. Indes verweist diese Formgestaltung wiederum auf Konventionen von Stilbereichen wie Hip-Hop oder Dancehall. Deren formbildende Charakteristika ergeben sich häufig aus dem Ein- und Ausblenden einzelner Spuren und aus Veränderungen hinsichtlich des Gesangs, weshalb auf harmonischer Ebene nicht mehr von Formmodellen gesprochen werden kann. In zahlreichen anderen und in den Charts präsenten populären Musikgenres ist eine solche Formgestaltung nach wie vor unüblich (vgl. Appen/Frei-Hauenschild 2012: 121 f.). Bezüglich des formalen Ablaufs und der Instrumentierung folgt BOOMBASTIC somit den Dancehall-Konventionen.

Auf textlicher Ebene präsentiert sich Shaggy als guter, als “bombastischer” Liebhaber, der die Dame seiner Wahl von seinen diesbezüglichen Qualitäten zu überzeugen gedenkt. Wie in den von Slackness geprägten Dancehall-Lyrics üblich, sind Frauen und männliche Potenz die zentralen Themen. Die Texte von Shaggy gelten in dieser Hinsicht jedoch als entscheidend entschärft, sodass sie auch auf dem internationalen Popmusikmarkt bestehen können (vgl. Chen/O’Brien Chang 1998: 212). Auf Dancehall-Konventionen hinweisende Bestandteile des BOOMBASTIC-Textes sind ferner die sparsam eingesetzten Patois-Elemente. Dieser kreolische Dialekt Jamaikas geht auf das Aufeinandertreffen europäischer, präkolumbianischer sowie westafrikanischer Sprachen zu Zeiten der Plantagensklaverei zurück und wurde bereits in den 1970er Jahren von Roots-Reggae-Künstlern in deren Songs in abgeschwächter Form zum Einsatz gebracht oder durch das Standard American English ersetzt, um bei einem internationalen Publikum nicht auf Verständnisprobleme zu stoßen (vgl. Helber 2015: 80 f.). Überdies greift Shaggy bei seinem Textvortrag auf Techniken des rhythmischen Sprechgesangs zurück, der im Dancehall-Kontext als “Toasting” oder “Deejaying” bezeichnet wird und eine breite Palette vokaler Ausdrucksmittel – vom melodischen “Singjaying” bis zum rauen “Ragga-Toasting” – miteinbezieht (vgl. Huss 2003: 128). Shaggys charakteristischer Vokalstil gilt einerseits als eindeutig von Dancehall-Sängern der späten 1980er Jahre beeinflusst, wird andererseits beschrieben als von seiner Zeit als Marine-Soldat geprägt oder als “cartoon-style rumble” (Locilento 2002: 109) bezeichnet. Kennzeichnend ist eine nasale Stimmgebung in mittlerer bis tiefer Lage, die auch den BOOMBASTIC-Textvortrag bestimmt. Dabei fällt auf, dass die Rauheit in Shaggys Stimme im Laufe des Songs beständig zunimmt und die rhythmische Komplexität des Sprechgesangs gesteigert wird. Patois-Anleihen sowie explizit sexuelle Textelemente finden sich beispielsweise in der Zeile “I’m a lyrical lover, no take me for no filth / With my sexual physique, Jah know me well built” – die Modifikationen hinsichtlich Grammatik und Aussprache gegenüber dem Standard American English sind gemäßigt, die Aussage hingegen deutlich. Ähnlich sind die Zeilen “Well you a the bun and me a the cheese” – Bun & Cheese ist ein auf Jamaika beliebtes Gericht, bestehend aus einem Früchtebrot und einer zwischen dessen Hälften befindlichen Käsescheibe – und “I’m just like a turtle crawling outta mi shell” zu verstehen. Shaggy bringt die für Dancehall typischen sexuell expliziten Textinhalte, den kreolischen Dialekt sowie die vokalen Techniken des Deejaying in BOOMBASTIC dezent, jedoch deutlich erkennbar zum Einsatz.

Der Videoclip zeigt Shaggy schließlich umringt von zahlreichen Tänzerinnen bei seiner Performance in einer leer stehenden und mit verschiedenen Tanzflächen ausgestatteten Villa. Während sich Frauen in der Dancehall-Kultur mittlerweile als Tänzerinnen – die sogenannten “Dancehall-Queens” – und auch als Sängerinnen etabliert haben, spielen sie im BOOMBASTIC-Clip klar eine passive Rolle, und Shaggy steht als stereotyp männlicher Protagonist im Mittelpunkt. Männliche Dancehall-Künstler greifen vor allem in Videoclips häufig auf Inszenierungsstrategien zurück, die visuell auf die Textinhalte referieren und Frauen lediglich den Status eines Objekts oder Schmuckstücks maskuliner Ermächtigung zugestehen (vgl. Helber 2015: 134). Der Videoclip verarbeitet folglich Themen, die in der Dancehall-Kultur auf der Tagesordnung stehen – tatsächlich bedient sich auch der Levi’s-Werbespot der Darstellung ähnlich stereotyper Geschlechterrollen. Somit sind beim Welthit BOOMBASTIC durchaus Elemente festzustellen, die sich dem Dancehall-Kontext zuordnen lassen. Gleichzeitig wird deutlich, wie Shaggy durch den behutsamen Umgang mit diesen Gestaltungsweisen sowie den bisweilen höchst kontroversen Inhalten und durch seine mediale Inszenierung dennoch für den Pop-Mainstream interessant sein und in diesem Fuß fassen konnte.

 

IV. Rezeption

BOOMBASTIC wurde auf internationaler Ebene ein großer Verkaufserfolg. In Großbritannien konnte der Song Michael Jackson von der Charts-Spitze verdrängen, in den USA erreichte BOOMBASTIC Platz 3 der Billboard Pop-Charts sowie Platz 1 der Billboard Reggae-, R&B- und Rap-Charts. Darüber hinaus wurde dem gleichnamigen Album 1996 ein Grammy in der Kategorie “Best Reggae Album” verliehen, und dieses erreichte durch über eine Million verkaufte Einheiten in den USA Platin-Status (vgl. Locilento 2002: 134 f.). Im Anschluss an den großen kommerziellen Erfolg fand der Song Einsatz auf den Soundtracks der Filme ManchalaMr. Bean’s HolidayBarnyard und The Real Cancun. Der auf der Single veröffentlichte “Sting/Shaggy Remix” des Songs wurde für die Soundtracks der Film-Produktionen George of the Jungleund After the Sunset verwendet. Nicht zuletzt gilt der Song als wegweisend hinsichtlich der Fusionen europäischer bzw. US-amerikanischer und jamaikanischer Popmusik, die beispielsweise dem Jamaikaner Sean Paul bis heute große Erfolge bescheren.

 

BENJAMIN BURKHART


Credits

Music/writer/songwriting: Orville Burrell, Robert Livingston, King Floyd
Producer: Robert Livingston, Shaun “Sting Int ‘1” Pizzonia
Label: Virgin
Recorded: 1994
Published: 1995
Length: 3:52

Recordings

  • Buju Banton. “Boom Bye Bye / Version”, 1993, VP Records, SM-004, US (12”/Single).
  • King Floyd. “Baby Let Me Kiss You”. On: King Floyd, 1971, Cotillion, SD 9047, US (LP/Album).
  • Shaggy. “Boombastic”. On: Boombastic, 1995, Virgin, CDV 2782, Europe (CD/Album).
  • Shaggy. “Boombastic”. On: Boombastic, 1995, Virgin, VSCDT 1536, UK (CD/Single).
  • Shaggy. “Boombastic” (Sting/Shaggy Remix). On: Boombastic, 1995, Virgin, VSCDT 1536, UK (CD/Maxi-Single).
  • Shaggy. “Oh Carolina”. On: Oh Carolina, 1992, Virgin, V2 91902 2 9, US (CD/Maxi-Single).
  • Shaggy. “Oh Carolina”. On: Pure Pleasure, 1993, Virgin, 0777 7 87953 2 2, US (CD/Album).

References

  • Appen, Ralf von/Frei-Hauenschild, Markus: “AABA, Refrain, Chorus, Bridge, PreChorus – Songformen und ihre historische Entwicklung”. In: Black Box Pop. Analysen populärer Musik. Ed. by Dietrich Helms and Thomas Phleps (= Beiträge zur Popularmusikforschung 38). Bielefeld: Transcript 2012, 57–124.
  • Chen, Wayne/O’Brien Chang, Kevin: Reggae Routes. The Story of Jamaican Music. Philadelphia: Temple University Press 1998.
  • Helber, Patrick: Dancehall und Homophobie. Postkoloniale Perspektiven auf die Geschichte und Kultur Jamaikas (= Postcolonial Studies 22). Bielefeld: Transcript 2015.
  • Huss, Hasse: “Deejaying (DJing)”. In: Continuum Encyclopedia of Popular Music of the World. Performance and Production. Volume 2. Ed. by David Horn, Dave Laing, Paul Oliver, John Shepherd and Peter Wicke. London, New York: Continuum 2003, 127–129.
  • Locilento, Micah: Shaggy. Dogamuffin Style. Toronto: ECW Press 2002.
  • Pfleiderer, Martin: “‘Come inna me ramping shop'”. Slackness und Schwulenhass in der jamaikanischen und deutschen Dancehall”. In: Thema Nr. 1. Sex und populäre Musik (= Beiträge zur Popularmusikforschung 37). Ed. by Dietrich Helms and Thomas Phleps. Bielefel: Transcript 2011, 165–187.
  • Yeshin, Tony: Advertisting. London: Thomson Learning 2006.

Films

  • After the Sunset. Director: Brett Ratner. New Line Home Video, 2004 (DVD).
  • Barnyard. Director: Steve Oedekerk. Paramount, 2006 (DVD).
  • George of the Jungle. Director: Sam Weisman. Disney, 1997 (DVD).
  • Manchala. Director: Jaiprakash Shaw. 1999 (DVD).
  • Mr. Bean’s Holiday. Director: Steve Bendelack. Universal Studios, 2007 (DVD).
  • The Real Cancun. Director: Rick de Oliveira. EV, 2003 (DVD).

About the Author

Benjamin Burkhart is senior scientist at the Institute for Jazz Research at the University of Music and Performing Arts Graz.
All contributions by Benjamin Burkhart

Citation

Benjamin Burkhart: “Boombastic (Shaggy)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/boombastic, 10/2018.

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