BLOWIN’ IN THE WIND gilt als einer der “klassischen Protestsongs” schlechthin und ist durch seine einfache Struktur vermutlich auch einer der meistgespielten überhaupt.
I. Entstehungsgeschichte
Der Singer/Songwriter Bob Dylan (24. Mai 1941), bürgerlich Robert Allen Zimmerman, gilt als einer der einflussreichsten Musiker und Songpoeten unserer Zeit. Dylans Aufstieg beginnt mit dem Folk-Revival und der Bürgerrechtsbewegung Anfang der 60er Jahre. Mitte der 60er verknüpfte er Folk mit Rock und schreibt BLOWIN’ IN THE WIND im April 1962 in einer New Yorker Folkkneipe. Die Melodie hat er – wie Folk-Urgestein Pete Seeger als erster entdeckt – einem traditionellen Gospelsong, “No More Auction Block”, entlehnt. Erstmals trägt Dylan den Song öffentlich am 16. April 1962 bei einem Konzert in Gerdes Folk City vor. Der Song ist da noch unvollständig mit nur zwei Strophen, die mittlere Strophe dichtet Dylan erst danach. Erstmals wird der Songtext im Mai 1962 im Broadside-Magazin veröffentlicht. Dylan nimmt das Stück mit auf seine zweite Platte, The Freewheelin’ Bob Dylan, die zwischen Juli 1962 und April 1963 aufgenommen wird und bis auf zwei Songs nur Eigenkompositionen enthält. The Freewheelin’ Bob Dylan erscheint im Mai 1963 und bereits im Juli 1963 covern Peter, Paul & Mary erstmals BLOWIN’ IN THE WIND. Es wird ein großer Charterfolg und steigt bis auf Platz zwei. Dylan wird nun als Songwriter und Protestsänger bekannt. Später kommt es jedoch zu Urheberrechtsproblemen. Der Musiker Lorre Wyatt behauptete das Lied sei sein eigenes. Als Dylan den Song veröffentlicht, erklärt er, Dylan habe ihm das Lied für wenige Dollar verkauft. Erst 1974 nimmt er schließlich in einem Interview die Anschuldigung zurück. Doch da ist Dylan längst als Songwriter bedeutender Lieder etabliert.
II. Kontext
Bob Dylan veröffentlicht bei Columbia am 19. März 1962 sein erstes Album mit dem Titel Bob Dylan. Darauf sind ausschließlich alte Folkstandards enthalten. Die Platte floppt. Sein Produzent John Hammond und Countrysänger Johnny Cash verhindern, dass ihn die Plattenfirma gleich wieder fallen lässt. Denn Dylan, der seinem großen Idol Woody Guthrie nacheifern will, beginnt schon zu dieser Zeit eigene Songs zu schreiben und kann erfolgreiche Auftritte in der New Yorker Folkszene verbuchen. Dylans zweites Album – The Freewheelin’ Bob Dylan – ist der Ausdruck dieser Entwicklung und enthält mehrheitlich starke Eigenkompositionen, darunter eben auch BLOWIN’ IN THE WIND. Der Song wird durch die Version von Peter, Paul und Mary zu einem Chartstürmer und Dylan gerät als talentierter Songschreiber gewichtiger Protestsongs immer mehr in den Blickpunkt. Er wird zur musikalischen Ikone der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Am 28. August 1963 tritt er zusammen mit Joan Baez beim “Marsch auf Washington” auf. Mit Baez entwickelt sich eine künstlerische und private Liaison, die bis 1965 Bestand haben sollte. Dylan bringt 1964 die Platte The Times They Are A-Changin’ heraus, die weitere selbst komponierte Protestsongs enthält, darunter weitere Klassiker wie das Titelstück oder “With God On Our Side” und “The Lonesome Death Of Hattie Caroll”. Doch bereits mit seiner nächsten Platte im gleichen Jahr, Another Side Of Bob Dylan, wendet er sich vom tagespolitischen Protestsong ab. Und im folgenden Jahr ist der Protest- und Folksänger Bob Dylan bereits Geschichte. Bob Dylan entdeckt den Rock’n’Roll für sich, wird Wegbereiter des Folk-Rocks und Popstar. Statt Cordmütze und Arbeiterhemd nun Sonnenbrille, Lockenpracht und T-Shirt. “Like A Rolling Stone” ist das Manifest seines neuen Selbstverständnisses und wird einer seiner weiteren großen Songklassiker.
III. Analyse
BLOWIN’ IN THE WIND in Dylans Originalversion ist ganz der frühe Dylan: sparsam instrumentiert (Gesang, Gitarre, Mundharmonika) und aufgrund der musikalischen Einfachheit mit den drei Griffen G, C und D leicht nachspielbar – daher auch der große Erfolg in der Verbreitung auf Demonstrationen, Workshops und Lagerfeuern. Dylans Gesang dieser Jahre ist geprägt von dieser Stimme, die älter klingt, als der Künstler ist, die erfahren und etwas verwittert klingt, nach der Devise: “Seht her, ich hab’ was erlebt!”Textlich stellt Dylan in den drei Strophen die gleichsam ewigen existentiellen Fragen, ohne anzuklagen oder Antworten zu bemühen, etwa “How Many Roads must a man walk down, before you can call him a man”. Er stellt dreimal drei Fragen und gibt jedesmal die abgeklärte Antwort: “The answer my friend is blowin’ in the wind, the answer is blowin in the wind.” Denn die Antworten drängen sich entweder auf oder werden nie gefunden werden. Diese kaum zu leugnende Ambivalenz des Songs macht ihn so erfolgreich wie kritikwürdig. Dylans Gesangvortrag ist dem Text entsprechend gleichförmig, stoischer Fatalismus die einzig mögliche Emotion.
IV. Rezeption
BLOWIN’ IN THE WIND gilt als einer “der klassischen Protestsongs” schlechthin und wurde auch schon mal als “Kirchenlied der Freaks” bezeichnet (Walter Liederschmitt). Der Song wurde, vielleicht weil er eher fatalistisch als provokant und eher wolkig als konkret ist, zu einem universellen musikalischen Ausdruck der internationalen Protestbewegungen. Er wurde von der US-amerikanischen Bürgerrechts- und Anti-Vietnambewegung ebenso adaptiert wie von der westdeutschen Ostermarsch- und Friedensbewegung, von der APO-Bewegung ebenso wie von der Ökologiebewegung. Nachdem in den 90er Jahren und Anfang dieses Jahrtausends hierzulande größere gesellschaftliche Bewegungen obsolet schienen, wurde der Song oftmals Zielscheibe des Spottes. So entstand beispielsweise 1995 eine humoreske Version von Wiglaf Droste und Funny van Dannen mit dem Titel “Muse feife inne Wind”. Beim 30-jährigen Plattenjubiläum Dylans im Oktober 1992 im New Yorker Madison Square Garden sang Stevie Wonder dagegen eine an Pathos, Überhöhung und Schmalz nicht mehr zu überbietende Version.
Wonder war einer der unzähligen Künstler – nach Peter, Paul und Mary –, die den Song coverten. Neben ihm nahmen sich u.a. Marlene Dietrich, Sam Cooke, The Hollies oder Elvis Presley des Titels an. Dylan selbst hat den Song bis heute im Live-Programm, doch immer wieder schafft er es, dem an den Lagerfeuern der Welt arg strapazierten Stück neues Leben einzuhauchen. Mal als langsame Schlagernummer (1978 und 1981) dann auch mal als Mitsing-Hymne (1984) oder Country-Shuffle (1986). Aktuell spielt er den Song als launigen Gospel-Soul.
Nach einem Karriereknick in den achtziger Jahren feiert Dylan seit Ende des letzten Jahrhunderts wieder beeindruckende künstlerische und kommerzielle Erfolge. Dylan hat neben vielen weiteren Auszeichnungen zwei Ehrendoktortitel erhalten, ist Inhaber der “National Medal of Arts” (USA), “Commandeur des Arts et des Lettres” (Frankreich) sowie Oscar- und Pulitzer-Preisträger. Seit Jahren wird er immer wieder für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen. Aufgrund der vielfältigen, genreübergreifenden Beiträge Dylans zur amerikanischen Populärmusik in den letzten fünf Jahrzehnten, wird er auch als “Vater des Americana” bezeichnet.
THOMAS WALDHERR
Credits
Gesang, Gitarre, Mundharmonika: Bob Dylan
Text, Musik: Bob Dylan
Produzent: John Hammond
Aufnahmejahr: 9. Juli 1962
Veröffentlichung: August 1963
Länge: 2:48
Recordings
- Bob Dylan. “Blowin’ In The Wind”, The Freewhelin’ Bob Dylan, 1963, Columbia, CL 1986, USA (LP/Album/Mono).
- Bob Dylan. Blowin’ In The Wind, 1963, Columbia, 4-42856, USA (7″).
- Bob Dylan/ Band. “Blowin’ In The Wind”, Before The Flood, 1974, Columbia, KG 37661, USA (2xLP).
- Bob Dylan. “Blowin’ In The Wind”, Bob Dylan At Budokan, 1978, Columbia, PC2 36067, USA (2xLP).
- Bob Dylan. “Blowin’ In The Wind”, Real Life, 1984, Columbia, 4678412, USA (CD/Album).
- Bob Dylan, Bob Dylan, 1962, Columbia, CS 8579, USA (LP/Album/Stereo).
- Bob Dylan, The Times They Are A-Changin’, 1964, Columbia, CS 8905, USA (LP/Album).
- Bob Dylan, Another Side Of Bob Dylan, 1964, Columbia, CS 8993, USA (LP/Album).
Covers
- Marlene Dietrich. “Blowin’ In The Wind”, Sag mir wo die Blumen Sind/ Die Welt war jung, 1962, Electrola, E 22180, Deutschland (7″/Single/Mono).
- Peter, Paul & Mary. Blowin’ In The Wind, 1963, Warner, 5368, USA (7″/Single).
- Sam Cooke. “Blowin’ In The Wind”, Sam Cooke At The Copa, 1964, RCA Victor, RD 7674, UK (LP).
- Stevie Wonder, Blowin’ In The Wind, 1966, Tamla, T 54136, USA (7″).
- The Hollies, Listen To Me/ Blowin’ In The Wind, 1968, Parlophone, R 5733, UK (7″).
- Gerd Köster. “Muse feife inne Wind”, Der Tanz um den heiligen Bim Bam, 1995, BMG, 74321, Deutschland (CD/Album).
References
- Detering, Heinrich: Bob Dylan. Stuttgart: Philipp Reclam 2007.
- Liederschmitt, Walter: Alles in allem. Trier: éditions trèves 1992.
- Shelton, Robert: Bob Dylan – No Direction Home. Sein Leben, Seine Musik 1941-1978. Hamburg: Edel 1986.
About the Author
All contributions by Thomas Waldherr
Citation
Thomas Waldherr: “Blowin’ in the Wind (Bob Dylan)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/blowinwind, 04/2012 [revised 10/2013].
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