Der Song BEAUTIFUL DAY ist einer der größten Hits der irischen Superstars U2 und markiert in stilistischer Hinsicht eine Wende im Schaffen der Band.
I. Entstehungsgeschichte
BEAUTIFUL DAY ist der siebte Track auf All That You Can’t Leave Behind, dem zehnten Studioalbum von U2 (erschienen am 30.10.2000). Der Song wurde am 9.10.2000 als erste Single ausgekoppelt (mit den B-Sides “Summer Rain” und “Always”). Für Musik und Text zeichnete die gesamte Band verantwortlich. Der Entstehungsprozess des Songs war von verschiedenen Wendungen geprägt. Ursprünglich wollten sich U2 mit All That You Can’t Leave Behind von den Anleihen aus der elektronischen Tanzmusik distanzieren, die noch die Arbeit an den Vorgängeralben maßgeblich beeinflusst hatten. Die ersten kompositorischen Skizzen zu BEAUTIFUL DAY sahen entsprechend einen geradlinigen Rocksong vor, der den Bandmitgliedern im Verlauf der Zeit jedoch allzu geradlinig und konventionell erschien. Als richtungsweisend erwies sich schließlich die Idee von Produzent Brian Eno, zu Beginn des Songs eine Drum-Machine sowie synthesizergenerierte Streicherklänge zu verwenden. Das Arrangement, bis dahin vor allem geprägt durch das “klassische” Band-Konzept Gesang – Gitarre – Bass – Schlagzeug, wurde in der Folge klanglich angereichert, ohne dass die ursprüngliche Idee, einen energetischen Uptempo-Song zu produzieren, aufgegeben werden musste. Drum-Machine und Streichersound wurden maßvoll eingesetzt, so dass die Aufnahme, wie anfänglich intendiert, keine allzu große Nähe zur elektronischen Tanzmusik aufwies.
II. Kontext
Mit dem Übergang in die Dekade der 2000er Jahre verabschiedeten sich U2 weitgehend von dem konzeptionell-experimentellen Duktus der 1990er Jahre. Dieser Entwicklungsschritt lässt sich bereits anhand des Artworks nachvollziehen. Das Coverfoto von All That You Can’t Leave Behind zeigt die vier Mitglieder der Band als Wartende in einem Flughafenterminal (geschossen wurde das Foto auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle). Es werden folglich keine Stilisierungen (Pop), kein Verschwinden der Bandmitglieder (Zooropa) und keine fragmentarisierte Sichtweise auf die Band (Achtung Baby) angestrebt. Wahrnehmungsleitend ist die Abbildung als reale Personen in einem Alltagssetting. Individuelle Merkmale werden in einem Spektrum von Haarschnitten, Sonnenbrillen, Kopfbedeckungen, Körperhaltungen, Kleidung (es werden dunkle Farben in leger-klassischem Stil getragen) kenntlich gemacht. Dabei tritt das mittlere Altersstadium der Bandmitglieder unverschleiert zutage, was sich konkret an den markanten Gesichtszügen sowie den ergrauten Haaren nachvollziehen lässt.
In Bezug auf den Albumtitel ist die Bevorzugung einer konventionellen Sprachkonstruktion, bestehend aus mehreren Wörtern, auffallend – im Gegensatz zu den kurzen, prägnanten Titeln der 1990er Jahre. Auch in semantischer, d.h. (song)textlicher Hinsicht kann kein Themenfeld ausgemacht werden, dass in mehr als einem Song akzentuiert ausgearbeitet worden wäre, also auf eine konzeptionelle Arbeitsweise hindeuten würde.
III. Analyse
Der Song hat sowohl in der Album- als auch in der Singleversion eine Dauer von 4:06 Minuten. Die Materialität der Aufnahme wird auf einer grundlegenden Ebene durch die Besetzung Hauptgesang (Bono), Hintergrundgesang (The Edge und Daniel Lanois), Gitarre (I, II), Bass, Schlagzeug, Keyboard und Beat-Programmierung bestimmt. Diesbezüglich ist zu konkretisieren, dass während der Dauer des gesamten Songs vor allem Stimme, E-Gitarre, Bass und Schlagzeug, d.h. die Besetzung der klassischen Rockband, die U2 qua Erscheinungsbild repräsentieren, klanglich dominieren. Der Formverlauf wird durch die im Pop- und Rock-Mainstream weithin verbreitete Grundstruktur A | B | A | B | C | B geprägt – hinzu kommen die kurzen Formteile Intro, Outro und Zwischenspiel. Die Formteile, in denen gesungen wird, überwiegen bei Weitem. Von den insgesamt 130 Takten werden 108 durch den stimmlichen Vollzug (mit)getragen. Nachfolgend soll die Konfigurationslogik von BEAUTIFUL DAY anhand von drei Aspekten rekonstruiert werden.
Der erste Aspekt bezieht sich auf die Bassdrum-Programmierung und das Keyboard-Arrangement im Intro-Abschnitt. So bewirkt der Einstieg in den Song auf der Basis des verschachtelten Rhythmusgeflechts aus Programmierung und Keyboard mit Achteldelay-Effekt ein Gefühl der Unklarheit, was die metrische Organisation der Komposition anbelangt. Infolgedessen wohnt dem Intro ein (klang)experimentelles Moment inne, das jedoch – im Gegensatz zu den experimentellen Arrangements der 1990er Jahre – ausschließlich im Dienste der konkreten Sinn(en)einheit Song steht. Dies macht sich daran bemerkbar, dass das Pattern, bestehend aus Keyboard-Anschlag, Delay-Repetition und Bassdrum, die Akkordfolge von Strophe und Refrain vorwegnimmt, durchgängig während der ersten Strophe erklingt und diese dabei vor allem in rhythmisch-strukturierender Hinsicht prägt. Im Refrain werden die rhythmischen Akzente vor allem durch das Schlagzeug, konkret Snare-Drum und Crashbecken, sowie die Barré-Akkorde der E-Gitarre aufgegriffen. Hinzu kommt, dass besagtes Pattern weder lärmend noch in irgendeiner Form schrill oder extravagant konzipiert ist. Unter klangästhetischen Gesichtspunkten betrachtet läuft es vielmehr auf den “typischen” Delay-/Reverb-gesättigten Sound der Band zu.
Der zweite Aspekt fokussiert ebenjene (Sinn-)Dimension des Typischen. Danach treffen Attribute wie klassisch oder typisch auch auf den Gitarrenpart zu. Dies lässt sich an den Flageolett-Tönen im Introabschnitt – ein ähnlicher Flageolett-Abschnitt findet sich in “Sunday Bloody Sunday” (1983) –, dem halboffenen Arpeggio-/Delay-Riff in der Strophe – diese Form des Gitarrenspiels liegt u.a. in der zweiten Strophe des Hits “Pride (In the Name of Love)” (1984) vor – sowie dem in der zwei- und dreigestrichenen Oktave gespielten Achtel-Riff im Refrain aufzeigen – eine ähnliche Riff-Struktur liegt vor allem in den Songs der ersten drei U2-Alben vor.
Das Bekenntnis zur eigenen musikalischen Vergangenheit, zum Typischen kann ebenso in den Bereichen der Harmonik und Diastematik festgestellt werden, was sich konkret in der Bejahung von klaren harmonischen Abläufen und melodisch-gesanglichen Linien zuungunsten von Loop-Arrangements, Klangcollagen und geräuschhaften Klangteppichen niederschlägt. Ebenso erscheint das Bassspiel weniger Groove-orientiert (als noch auf Pop), d.h., gleichmäßige Achtelketten auf dem Grundton dominieren. Offensichtlich verfolgen U2 mit All That You Can’t Leave Behind im Allgemeinen und BEAUTIFUL DAY im Speziellen eine Rückkehr zu ihren musikalischen Wurzeln der frühen 1980er Jahre. Auch das gesangliche Spektrum ist geprägt durch eine Rückbesinnung auf bereits etablierte stilistische Merkmale.
Ausschlaggebend für diese stilistische Selbstreferenz ist der Gestus der beschwörenden, melodisch-kraftvollen, weil vornehmlich in der zweigestrichenen Oktave mit Bruststimme vorgetragenen Ich-Schilderung (hier: “Touch me. Take me to that other place”). Dieser Gestus war stilprägend für Hits wie “Where the Streets Have No Name” (“I want to run. I want to hide. I want to tear down the walls that hold me inside”) und “With or Without You” (“I can’t live. With or without you”). Er zieht sich wie ein roter Faden durch das Schaffen der Band, verebbte zu keinem Zeitpunkt, war also auch in den experimentell-konzeptionellen Alben der 1990er Jahre manifest. Der entscheidende Unterschied zu ebenjener experimentellen Phase besteht jedoch darin, dass nunmehr keine weiteren stimmlich-expressiven Facetten hinzugegeben werden. Das Typische an Bonos Gesangsstil steht gewissermaßen für sich allein.
Alles in allem zeigt sich, dass U2 das spielerische Experimentieren mit nicht rockspezifischen Elementen über eine verhältnismäßig lange Zeit hinweg (ein Jahrzehnt) als das Eigene propagierten. Die klangexperimentellen Anreicherungen der Songs auf All That You Can’t Leave Behind (und den zwei Folgealben) können aus diesem Grund als authentisch rezipiert werden. Durch den Rückgriff auf die Stilelemente der frühen Schaffensphase wiederum wird ein Retrosound markiert, durch den das Bild einer Band vermittelt wird, die auf eine lange, ereignisreiche Vergangenheit zurückblickt. U2 – die Mitglieder sind inzwischen sichtbar gealtert – präsentieren sich als auf der Höhe der Zeit arbeitende Band, die zudem ihre ureigensten Qualitäten ausspielt.
IV. Rezeption
BEAUTIFUL DAY ist sowohl in künstlerischer als auch in kommerzieller Hinsicht als überaus erfolgreiche Single von U2 zu bewerten. Der Song stieg weltweit in mehreren Charts bis auf Platz eins und wurde von der Musikpresse positiv besprochen. Im Jahr 2001 gewann der Song drei Grammys (in den Kategorien “Record of the Year”, “Song of the Year” und “Best Rock Performance by a Duo or Group with Vocal”). Seine popkulturelle Geltung manifestiert sich außerdem in Form von Platzierungen in listenförmigen Pop-Kanonisierungen wie den “500 Greatest Songs of All Time” (Rolling Stone, Platz 345). Nicht minder groß ist die Anerkennung für das Album All That You Can’t Leave Behind (Platz 280 unter den “500 Greatest Albums of All Time”, herausgegeben durch den Rolling Stone ).
Seit seiner Veröffentlichung gehört der Song zum Standard-Repertoire von U2-Konzerten. Offizielle Konzertmitschnitte sind auf den Live-DVDs Elevation 2001: Live from Boston (2001), U2 Go Home: Live from Slane Castle (2003), Vertigo 2005: Live From Chicago (2005) und U2 360° at the Rose Bowl (2010) enthalten.
CHRISTOFER JOST
Credits
Hauptgesang: Bono Vox
E-Gitarre, Nebengesang: The Edge
E-Bass: Adam Clayton
Schlagzeug: Larry Mullen Jr.
Autor: U2
Produzenten: Daniel Lanois, Brian Eno, Steve Lillywhite
Veröffentlichung: 9. Oktober 2000
Label: Island Records, Interscope
Spieldauer: 4:06
Recordings
- U2. “Beautiful Day”, All That You Can’t Leave Behind, 2000, Island Records/Universal U212, 524 653-1, Europa (CD/Album).
- U2. “Beautiful Day”, All That You Can’t Leave Behind, 2000, Interscope Records 314-548 328-2, USA (CD/Album).
- U2. “Beautiful Day”, Beautiful Day, 2000, Island Records, CID 776, 562 945-2, Europa (CD/Single).
- U2. “Beautiful Day”, Beautiful Day, 2000, Island Records/Interscope Records, BEAUTCD1, INTR-10173-2, USA (CD/Single).
- U2. “Beautiful Day”, Elevation 2001: Live from Boston, 2001, Island Records, 586 543-9, Europa (DVD).
- U2. “Beautiful Day”, U2 Go Home: Live from Slane Castle, 2003, Island Records, 9813513, Europa (DVD).
- U2. “Beautiful Day”, Vertigo 2005: Live From Chicago, 2005, Island Records, 9874637, Europa (DVD).
- U2. “Beautiful Day”, U2 360° at the Rose Bowl, 2010, Island Records, 2735525, Europa (DVD).
References
- Chatterton, Mark: U2. The Ultimate Encyclopedia. London: Firefly 2004.
- Harris, Paul: U2’s Compositional Process: Sketching Achtung Baby in Sound. In: MusikTheorie. Zeitschrift für Musikwissenschaft 24/2 (2009), 137-162.
- Flanagan, Bill: U2 at the End of the World. New York: Random House Publishing Group 1996.
- Jost, Christofer: Musik, Medien und Verkörperung. Transdisziplinäre Analyse populärer Musik. Reihe: Short Cuts | Cross Media 5. Baden-Baden: Nomos 2012.
- Rolling Stone (Ed.): Rolling Stone’s – 500 Greatest Albums of All Time. London: Turnaround 32006.
- The 500 Greatest Songs of All Time. In: Rolling Stone Magazine 963 (2004).
Links
- Band-Homepage: http://www.u2.com/ [05.08.2012].
- Lyrics: http://www.u2.com/discography/lyrics/ [05.08.2012].
About the Author
All contributions by Christofer Jost
Citation
Christofer Jost: “Beautiful Day (U2)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/beautifulday, 08/2012 [revised 10/2013].
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