BAYERN ist ein satirischer Fußballsong der Düsseldorfer Punk-Rock-Band Die Toten Hosen, der gegen den erfolgreichsten und finanzkräftigsten deutschen Fußballverein FC Bayern München polemisiert.
I. Entstehungsgeschichte
Den Song BAYERN schrieb der Tote-Hosen-Sänger Campino zusammen mit dem in der deutschsprachigen Rockszene als Liedermacher bekannten Funny van Dannen (dessen Songs unter anderem von Udo Lindenberg gecovert wurden) für das Album Unsterblich. Unsterblich ist das neunte Studioalbum der 1982 gegründeten Band bzw. das elfte, wenn die beiden zwischenzeitlich unter dem Pseudonym “Die Roten Rosen” veröffentlichten Alben mitgezählt werden. Es wurde von August bis November 1999 im Studio Dierks in Stommeln nordwestlich von Köln aufgenommen und am 6. Dezember 1999 veröffentlicht. Einen Tag zuvor war das Album bereits beim Radiosender EinsLive vorgestellt worden. Während der Produktionsphase fand in der Band der bisher letzte Besetzungswechsel statt, nämlich am Schlagzeug, da der ehemalige Schlagzeuger Wolfgang Rohde aufgrund von Bandscheibenproblemen ausschied. Dieser spielte allerdings neben BAYERN noch drei weitere Songs für das Album ein, während sein Roadie Stephen “Vom” Ritchie die anderen Stücke übernahm und seitdem Schlagzeuger der Band ist (vgl. Skai 2007: 58–61; 102 f.).
In einer vom Aufbau her etwas abgeänderten Version wurde BAYERN am 10. April 2000 als sogenannte Tipp-Kick-Version (Maxi-Single-Auskopplung) veröffentlicht. Neben BAYERN sind auf der Maxi-Single die Songs “Lass doch mal Dampf ab”, “Hang on Sloopy” sowie eine Version der international bekannten Fußballhymne “You’ll Never Walk Alone” zu hören. Im Kontext der Maxi-Single-Veröffentlichung wurde ein Videoclip unter der Regie von Peter Thorwarth (Bang Boom Bang) auf dem Bolzplatz von Alemannia 08 in Düsseldorf-Flingern aufgenommen.
II. Kontext
Der Text von BAYERN nimmt auf satirische Weise den finanziell und sportlich erfolgreichsten deutschen Fußballverein FC Bayern München unter Beschuss. In Zeilen wie “Was für Eltern muss man haben, um so verdorben zu sein, einen Vertrag zu unterschreiben, bei diesem Scheißverein?” wird Spielern und Vereinsmitgliedern Charakterschwäche unterstellt. Als Schmählied knüpft BAYERN an die Tradition des aus Kaiserslautern kommenden und deutschlandweit bekannt gewordenen Anti-Bayern-Fangesangs “Zieht den Bayern die Lederhosen aus” an und zog wiederum weitere Anti-Bayern-Songs im Bereich der satirischen Popmusik nach sich. So veröffentlichte 2001 die Rockband Die Schröders auf dem Album Das Leben ist kein Ponyhof den Song “Bayern hat verloren”, Otto Waalkes sang mit der Melodie von Simon und Garfunkels “El Condor Pasa” das “Anti-Bayern-Lied” und Ingo Appelt veröffentlichte 2005 auf dem Album Superstar den Song “Du bist ein Hoeness”. In den Jahren von 1999 bis 2001 war außerdem die Website www.antibayern.de aktiv, auf der neben einer Auswahl an Anti-Bayern-Songs auch zahlreiche Videoclips, Presseartikel und Anti-Bayern-Witze sowie Spielberichte von sämtlichen Niederlagen (und unentschiedenen Partien) des FC Bayern München veröffentlicht wurden.
Die Entstehung und Veröffentlichung von BAYERN hängt, anders als vielleicht erwartet, nicht mit einer besonders spektakulären Spielerverpflichtung in der Sommerpause 1999 zusammen. Zwar verpflichtete der Verein zur Saison 1999/2000 einige neue Spieler, allerdings trifft auf keinen dieser Spieler die in dem Lied als mustergültig erklärte Trias von Attributen zu (20-jährig, supertalentiert, Länderspielerfahrung für Deutschland). Dennoch war der Zeitpunkt der Veröffentlichung kaum zufällig, da der Rekordmeister in der Vorsaison 1998/99 die Fußballbundesliga dominiert hatte und mit 15 Punkten Vorsprung (damaliger Rekord) Deutscher Meister geworden war. Was für die Anhängerschaft des FC Bayern München Grund zur Freude war, bedeutete für viele andere Fußballfans im Land eine zumindest in der Frage der Meisterschaftsvergabe langweilige Saison.
Als stichelnde Erinnerung an das 1999 verlorene Finale der Champions League kann der Text der zweiten Strophe verstanden werden (“und Real Madrid hätte schon angeklopft, und die Jungs aus Manchester”). Real Madrid war der unterlegene Halbfinalgegner (und Vorjahressieger der Champions League) und Manchester United der siegreiche Finalgegner gegen die Bayern. Da es sich bei beiden Vereinen allerdings auch um die jeweiligen Rekordmeister Spaniens und Englands handelt, ist die Erwähnung nicht zwingend in den Kontext der vorangegangenen Champions-League-Saison zu stellen und kann auch lediglich für die internationale Nachfrage nach dem fiktiven Fußballspieler der zweiten Strophe stehen.
III. Analyse
Der 4/4-taktige Rock-Song steht in E-Dur, hat ein Tempo von 136 bpm und dauert 4:16 Minuten. Gegenüber der Album-Version, die auch im Musikvideo erklingt, wurde der Song für die Single-Auskopplung im Aufbau dahingehend verändert, dass die hymnische Schlusszeile der Album-Version (“Wir würden nie zum FC Bayern München gehn”) in der Single bereits zweimal vorher erklingt und dadurch den Charakter eines Refrains annimmt (die Album-Version ist dagegen strenggenommen Refrain-los). Gemein haben beide Versionen, dass sie mit einem ruhigen, viertaktigen Gitarren-Intro (mit Hi-Hat-Backbeat) beginnen, auf welches eine 16-taktige Strophe (A) folgt (“Es gibt nicht viel auf dieser Welt, woran man sich halten kann”). In dieser ersten Strophe ist lediglich Campinos Gesang mit einer aus dem Intro unverändert bleibenden Begleitung (Gitarre und Hi-Hat) zu hören. Die ruhige Atmosphäre im Zusammenspiel mit einem sehr allgemein gehaltenen Text, der noch keinerlei Bezüge zum Thema Fußball aufweist, lässt die Hörer*innen zunächst noch im Unklaren, worauf der Song eigentlich hinauswill.
Klärung bringen die folgenden 10 Takte (B) (“Es kann so viel passieren […] nie im Leben würde ich zu Bayern geh’n”), die durch das Einsetzen der Rhythmusgitarre und eine energischere Stimmgebung Campinos klanglich etwas hervorgehoben werden. Zur zweiten Strophe (A’) (“Ich meine, wenn ich 20 wär”) setzt das Schlagzeug mit einem einfachen Rockrhythmus (durchlaufende Achtel auf der Hi-Hat, dazu Bassdrum auf den Zählzeiten 1, 2+ und 3, Snare auf 2 und 4) ein, was ebenfalls zu einer weiteren Steigerung führt. Es folgt erneut der B-Teil, jedoch mit anderem Text (B’) (“Ich würde meine Tür nicht öffnen”). In der Maxi-Version des Songs ertönt danach der 8-taktige Refrain (C) (“Wir würden nie zum FC Bayern München geh’n!”), während in der Album-Version dieser Teil fehlt. Bei beiden Versionen wird dann mit einer 10-taktigen Bridge (D) (“Das wollen wir nur mal klarstellen”) ein 16-taktiges Gitarrensolo (E) eingeleitet. Es folgt die zweite Bridge (D’) (“Muss denn sowas wirklich sein”), welche in der Maxi-Version zum Refrain (C) überleitet. In der Album-Version dagegen folgt erneut der 10-taktige Formteil (B”) (“Es kann so viel passieren”), welcher wiederum in der Maxi-Version fehlt. Mit dem Text “Was für Eltern muss man haben” folgt ein weiteres Mal der B-Teil (B”(‘)). In der Album-Version erklingt danach nun endlich das aus der Maxi-Version als Refrain bereits bekannte “Wir würden nie zum FC Bayern München gehn!” (C) und wird dreimal wiederholt und allmählich ausgeblendet. In der Maxi-Version wird (C) hier nur einmal wiederholt, bevor der Song mit dem von der Gitarre gespielten Schlussakkord der I. Stufe zu Beginn des nächsten Taktes ein klares Ende erhält. Der gegenüber der Album-Version (Intro-A-B-A’-B’-D-E-D’-B”-B”’-3xC-Fade-Out) abgeänderte Aufbau der Maxi-Version (Intro-A-B-A’-B’-C-D-E-D’-C-B”-C-C-Schlussakkord) hat sich bei Konzerten durchgesetzt, wobei der Refrain “Wir würden nie zum FC Bayern München gehen!” besonders leidenschaftlich vom Publikum mitgesungen wird.
Das in Düsseldorf-Flingern gedrehte Musikvideo steht im krassen Gegensatz zu Habitus und Renommee des FC Bayern. Sowohl die Filmqualität (35-Millimeter-Film) als auch die Szenen des Videos (ein schlammiger Bolzplatz, auf dem die Band und einige Fans frei von Taktik, Regeln und Mannschaftseinteilungen Fußball spielen sowie das anschließende Punk-Konzert im Vereinskeller) sollen vor allem Amateurhaftigkeit zum Ausdruck bringen (Thorwarth 2019).
IV. Rezeption
Uli Hoeneß, der damalige Manager des FC Bayern, ist die einzige Person, die im Song erwähnt wird. Ein Kommentar von ihm zu dem Song ließ nicht lange auf sich warten und ist mit dem Zitat “Das ist der Dreck, an dem unsere Gesellschaft irgendwann ersticken wird” überliefert (Oltermann 2007: 114–115). Dieses Zitat wiederum wird im Musikvideo aufgegriffen. Der eigentliche Clip wird von zwei ca. zehnsekündigen Videosequenzen gerahmt, in denen ein Hoeneß-Double zu sehen ist. In der ersten Sequenz öffnet das Double ein an die Adresse des FC Bayern gesendetes Paket mit dem Absender “DTH Düsseldorf”, entnimmt eine VHS-Videokassette mit der Aufschrift “Lieben Gruß an den F.C.B” und spielt diese dann mit einem Videoplayer ab. Der eigentliche Musikclip beginnt danach. Am Ende des Clips winken die Bandmitglieder in die Kamera und richten Grüße an Hoeneß aus. Das Double schaltet daraufhin den Videoplayer aus und spricht das obengenannte Zitat sinngemäß mit ausgestrecktem Zeigefinger in Richtung Bildschirm.
An Aktualität gewinnt der Song jeweils dann, wenn Transfers junger deutscher Nationalspieler zum FC Bayern bekannt werden. Bei den Transfers von Manuel Neuer 2009 (vorher Torwart des FC Schalke 04) und Mario Götze 2013 (Mittelfeldspieler bei Borussia Dortmund) erreichten YouTube-Videos, die Szenen der jeweiligen Spieler mit dem Song BAYERN unterlegten, teilweise sechsstellige Klick-Zahlen.
BAYERN gehört seit der Veröffentlichung zum Konzert-Repertoire der Band und wird bei Auftritten häufig auf standardisierte Weise angekündigt: Nach Kommentaren zur aktuellen Situation des Fußballvereins der Konzertstadt sowie von Fortuna Düsseldorf (Wohnort der Band) wird entweder auf die aktuelle Dominanz oder Schwächephase oder die aktuellen Transfers des Vereins hingewiesen. Häufig werden die Worte “Liebe” und “Gott” der ersten Strophe durch “Fortuna” und den Vereinsnamen der Konzertstadt ausgetauscht. Bei den Konzerten 2013 wurde außerdem in der Zeile “Ich meine, wenn ich 20 wär” das Alter des Spielers durch den Namen Mario Götze ausgetauscht. Dem möglichen Vorwurf, die Toten Hosen würden sich mit dem Song den Fußballfans vor Ort anbiedern, tritt die Band mit ihrer Performance in München entgegen, die ebenso wenig vom Schema abweicht und entsprechend oft von einem gellenden Pfeifkonzert begleitet wird. Die Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung von Uli Hoeneß im Januar 2013 und dessen Verurteilung im März 2014 liefern seitdem zusätzlich Stoff für Campino, den Song auf Konzerten anzukündigen.
CHRISTOPH BAATHE
Credits
Gesang: Campino (Andreas Frege)
Gitarre: Breiti (Michael Breitkopf), Kuddel (Andreas von Holst)
Bass: Andi (Andreas Meurer)
Schlagzeug: Wölli (Wolfgang Rohde)
Text + Musik: Funny van Dannen, Andreas Frege
Produzent: Die Toten Hosen, John Caffery
Label: Jochens Kleine Plattenfirma (JKP) – JKP 35
Aufnahme: August bis November 1999 im Studio Dierks, Stommeln
Veröffentlichung: 6. Dezember 1999
Länge: 4:16 (Album Version)
Video-Clip (Hoeneß-Version): 4:39
Recordings
- Die Roten Rosen. “Never Mind The Hosen Here’s Die Roten Rosen (Aus Düsseldorf)”, 1987, Virgin, Rosenkopf, Deutschland (CD, Album).
- Die Roten Rosen. “Wir Warten Auf’s Christkind”, 1998, Jochens Kleine Plattenfirma (JKP), EastWest, Deutschland (CD, Album).
- Die Toten Hosen. “Bayern”. On: Unsterblich, 1999, Jochens Kleine Plattenfirma (JKP), JKP 35, Deutschland (CD, Album).
- Die Toten Hosen. “Bayern”. On: Unsterblich, 1999, Jochens Kleine Plattenfirma (JKP)/Universal, JKP 35, 064 153-2, Polen (CD, Album).
- Die Toten Hosen. “Bayern (Tipp-Kick Version)”. On: Bayern, 10. April 2000, Jochens Kleine Plattenfirma (JKP), JKP 40, Deutschland (CD, Maxi-Single, Jewelcase).
- Die Toten Hosen. “Bayern”. On: Reich & Sexy II, 2002, Jochens Kleine Plattenfirma (JKP)/EastWest Records GmbH, JKP 35, 5245-08988-2, Deutschland (CD, Compilation).
- Die Toten Hosen. “Bayern”. On: Reich & Sexy II, 2002, Jochens Kleine Plattenfirma (JKP)/EastWest Records GmbH, JKP 57, 5245-08978-2, Deutschland (2 x CD, Compilation, Digipak).
- Die Toten Hosen. “Bayern”. On: Reich & Sexy II, 2002, Jochens Kleine Plattenfirma (JKP), JKP 57, Deutschland (4 x Vinyl, LP, Compilation).
- Die Toten Hosen. “Bayern”. On: Heimspiel: Die Toten Hosen Live in Düsseldorf, 2005, Warner Musik Group Germany (DVD).
- Die Toten Hosen. “Bayern”. On: Unsterblich Jubiläumsedition, 2007, Jochens Kleine Plattenfirma (JKP), JKP 35 Deutschland (CD, Album, Remastered, Digi).
- Die Toten Hosen. “Bayern”. On: All die ganzen Jahre: Best Of, 2012, Musicbrokers MBB20090, Argentinien (CD, Album).
- Various. “Bayern”. On: Videocompilation #2 April 2000, 2000, WEA Records, (VHS, Compilation, Promo).
References
- O.A.: “Interview mit Peter Thorwarth”. In: Archive, 2000. URL: http://archive.is/RZsQ#selection-349.223-349.337 [25.02.2019].
- Skai, Hollow: Die Toten Hosen. Höfen: Koch International GmbH/Hannibal 2007.
- Oltermann, Philip: “Fußball-Rivalität in England. ‘Versteh doch, Papa, ich hasse sie wirklich'”. In: Spiegel-Online, 15.12.2007. URL: http://www.spiegel.de/sport/fussball/fussball-rivalitaet-in-england-versteh-doch-papa-ich-hasse-sie-wirklich-a-523174.html [14.11.2024].
- Homepage der Band. URL: http://www.dietotenhosen.de/diskographie/musik/die-00er/2000/bayern [1.3.2022].
About the Author
All contributions by Christoph Baathe
Citation
Christoph Baathe: “Bayern (Die Toten Hosen)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/bayern, 11/2024.
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