2000
Richard Ashcroft

A Song for the Lovers

Richard Ashcroft galt von Beginn seiner Karriere an als schwierige Person, aber ebenso als genialer und feinfühliger Musiker sowie als Ikone der poetischen Seite des Britpop. In seiner Debut-Single A SONG FOR THE LOVERS gibt er persönliche Einblicke in die Kehrseite des Rock’n’Roll-Ruhms.

I. Entstehungsgeschichte

Richard Ashcroft (*1971) wurde Mitte der 1990er Jahre als Frontmann und Sänger der englischen Rockband The Verve bekannt, die vor allem mit ihrem Song “Bitter Sweet Symphony” (1997) einen großen Erfolg feiern konnte. Die Band war stets durch interne Unstimmigkeiten gezeichnet, was zu längeren kreativen Pausen und insgesamt drei Trennungen (1995, 1999 und 2009) führte, die im Prinzip alle Ashcroft angelastet werden. Bereits in dieser Zeit tat sich Ashcroft als Solokünstler hervor, so z.B. als Sänger auf Lonely Soul (1997) der Trip-Hop Formation U.N.K.L.E. oder auf The Test (2002) des Electronic-Duos The Chemical Brothers. Nach der zweiten Trennung von The Verve im Jahr 1999 veröffentlichte Richard Ashcroft sein erstes Soloalbum Alone With Everybody (2000) aus dem A SONG FOR THE LOVERS als erste Single ausgekoppelt wurde. Weitere Albumveröffentlichungen von Ashcroft sind bis dato Human Conditions (2002), Keys To The World (2006) und United Nations of Sound (2010) (unter dem Pseudoym RPA & The United Nations of Sound).

A SONG FOR THE LOVERS entstand bereits 1995/96 für das The Verve-Album Urban Hymns (1997), wurde aber nicht dafür verwendet. Der Song baut sich um ein getra-genes, mit markanten Streicherarrangements unterlegtes Grundmotiv herum auf, der Songtext behandelt in allgemeiner Metaphorik das Warten auf eine geliebte Person. Dieses Grundthema inszeniert Regisseur Jonathan Glazer auf eindrückliche und einzigartige Weise im dazu gehörigen Musikclip.

II. Kontext

Die (Über-)Länge der Single-Version von A SONG FOR THE LOVERS, dessen Komposition und die ungewöhnliche audiovisuelle Konzeption des Clips sind vor allem relevant, da es sich hierbei um die erste Solo-Veröffentlichung und den ersten Solo-Musikclip von Richard Ashcroft handelt. Beide Formate verweigern sich den zeitlichen und inszenatorischen Standards von Erstlingswerken und wollen einen bewussten Kontrast erzeugen. Dies bestätigt Richard Ashcroft auch im Interview auf der DVD The work of director Jonathan Glazer: “The constant bombardment with MTV and videos and advertising, you know a bit of silence, a bit of mood and atmosphere, I found would be interesting and run against almost everything that was going on at the time.” Im Kontext der genannten Selbstreflexivität thematisiert A SONG FOR THE LOVERS das einsame Leben nach der Show und die Trennung von Freunden und Familie als eine sentimentale Kehrseite des Rock-/Popstar-Daseins. Der Musikclip kann aufgrund der Orientierung an den ersten Songtextzeilen als eine Form der visuellen Explikation dieser Kehrseite verstanden werden. Der Song zeigt somit die Differenz zwischen der Star-Person als Performer und der Privatperson auf, was im Musikclip insbesondere durch die akustische (Ver-)Doppelung der Stimme von Richard Ashcroft verdeutlicht wird.

III. Analyse

Der Songtext ist vornehmlich in floskelhaften bis kryptischen Umschreibungen gehalten. Die ersten Textzeilen “I spend the night, yeah looking for my insides in a hotel room, waiting for you” definieren hierbei die Grundthematik des Songs und letztlich auch die Ereignisse des dazugehörigen Musikclips, in welchem Ashcroft in einer geräumigen Hotelsuite umher wandert und den Song anhört. Die Beziehung zwischen der unbestimmt adressierten Person (“you”) und der adressierenden Person (“I”) wird zwar mit den nachfolgenden Zeilen “We’re gonna make it tonight, yeah something in the air tells me the time is right, so we’d better get it on” konkretisiert, die Umstände eines Zusammentreffens, sowie “it” und “something” bleiben jedoch ebenso offen, wie auch das angestrebte Ereignis, für das die Zeit reif ist (“the time is right”). Im Refrain erfolgt nun jedes Mal die ausgesprochene Bitte “DJ, play a song for the lovers, tonight”, die verschiedene Lesarten anbietet. So z.B. erstens die Aufforderung an einen bestimmten DJ, einen Song für Ashcroft und seine Geliebte als die “lovers” zu spielen, zweitens die Aufforderung ein Liebeslied für alle zuhörenden Liebespaare im Sinne von “lovers” zu spielen, drittens Ashcroft’s Wunsch an den imaginierten Radio-DJ ein Liebeslied für ihn und seine ebenfalls zuhörende, aber von ihm getrennte Geliebte zu spielen, viertens die Aufforderung den konkreten Song A SONG FOR THE LOVERS im Sinne einer der genannten Deutungen zu spielen. Der Refrain fungiert somit wie auch der Titel als Selbstreferenz des eigentlichen Songs, was entsprechend verschachtelte Deutungen zulässt. Das in den folgenden Strophenzeilen thematisierte Warten (“Don’t wanna wait, lord I’ve been waiting all my life but I’m too late again”) weist eher auf den Wunsch nach Erlösung aus der Situation aber auch auf Ausweglosigkeit hin, die mit Hilfe der göttlichen Anrufung (“lord”) bewältigt werden soll. Hinzu kommt schließlich noch die Metaphorik des Ungewissen (“I’m moving like a train into some foreign land”). Diesbezüglich kann die Refrainzeile “DJ, play a song for the Lovers” ebenso auf eine unglückliche, unerfüllte oder gar obsessive Liebe hindeuten, der SONG FOR THE LOVERS würde dann stellvertretend als Liebesgeständnis fungieren, das nicht erwidert wird. Der zwischen Verschlüsselung und Banalität schwankende Songtext lässt in der Folge weitere Ausdeutungen zu, unter anderem Hilferuf (“Oh brother won’t you lend a hand”), Verzweiflung (“I’m alone in a room and I’m waiting for love”) und Ungewissheit (“I don’t know when this train’s gonna stop”). In einem Interview mit MTV gibt Ashcroft an, dass es sich bei A SONG FOR THE LOVERS um einen teilweise autobiografischen Song handelt, der zum einen von der Beziehung zu seiner damaligen Frau und zum anderen durch einen Joy Division-Song inspiriert sei, den er mal in einem Hotelzimmer gehört hat (Basham 2000). Dieser persönliche Bezug wird auch durch die Gestaltung des Single-Covers hergestellt, auf dem ein Kuss zwischen Ashcroft und (s)einer Frau zu sehen ist.

Die Single-Veröffentlichung von A SONG FOR THE LOVERS ist mit einer Dauer von 5.39 Minuten um 13 Sekunden länger als die Album-Version, der Musikclip dauert 5.52 Minuten, in denen der Song jedoch insgesamt nur 4.27 Minuten zu hören ist. Der Song ist im Viervierteltakt bei einem Tempo von 154 bpm komponiert und basiert auf dem etwas ungewöhnlichen Schema Intro, Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Solo (auf Refrain), Refrain, Refrain (alternierender Gesang), Refrain (alternierender Gesang), Refrain (instrumental) und Outro. Das Strophenthema basiert auf Am / Em / F / E, das Refrainthema auf F / Em / Dm / E. Beide Themen werden im Songverlauf durch verschiedene Instrumentierungen variiert, das Strophenthema bildet die Grundlage für das Gitarrensolo, das Refrainthema wird zum Ende des Songs hin durch andere Gesangsparts und ergänzende Vokalisten abgewandelt. Generell ist der Song zwar in höherem Tempo, jedoch instrumental getragen gestaltet, so stehen die Schlagzeugbeats z.B. eher begleitend im Hintergrund. Gesang, Synthesizer und Gitarrenparts bilden die melodische und harmonische Grundlage und werden im Verlauf des Songs von Streicherelementen ergänzt bzw. verstärkt. Insgesamt wirkt der Song dadurch tendenziell melancholisch oder gar etwas düster, was vor allem an dem gezogenen und konträr zu dem schnelleren Beat gestalteten Gesang liegt.

Der Musikclip zu A SONG FOR THE LOVERS präsentiert ein bewusst untypisch inszeniertes Zusammenspiel von Musik und Bild. Die Idee hinter dem Musikclip beschreibt Ashcroft im Interview auf der DVD The work of director Jonathan Glazer folgendermaßen: “I think we’re approaching this video as a short film or (…) like a scene out of a film, that was never made, it’s the middle of a film, of a movie that should have been made, maybe who knows, maybe one day will be made”. Ausgehend von den ersten Zeilen des Songtexts wird Ashcroft in einer geräumigen, spärlich beleuchteten Hotelsuite inszeniert, in der er herumsitzt und -läuft, isst und das Bad benutzt. Das spektakuläre ist hierbei, dass Ashcroft den Song im Bildgeschehen zu Beginn aktiv einschaltet und in der Folge sowohl der Song wie auch alle weiteren, von Ashcroft verursachten Geräusche (z.B. Husten, ein laufender Wasserhahn) zu hören sind. Im Clip wird der Song somit nicht als musikalisch-klangliche Grundlage der Visualisierungen verwendet, sondern zu einem akustischen Element einer filmisch gestalteten Tonebene umfunktioniert. Dies gipfelt erstens darin, dass Ashcroft stellenweise seinen eigenen, laufenden Gesang des Musikstücks im Bildgeschehen deutlich hörbar mitsingt und somit verdoppelt, so dass im Clip zwei Gesangsparts einer Person zu hören sind. Zweitens stoppt Ashcroft den Song an zwei Stellen, was dazu führt, dass im Musikclip insgesamt 1.25 Minuten vollständige Stille herrschen, in denen Ashcroft langsam durch die Suite geht. Diese Stille symbolisiert unter anderem die Paranoia des alleine Wartens in großen Räumen und die Ungewissheit über die mögliche Anwesenheit anderer, deren Geräusche sich im Clip hinter dem laufenden Song verbergen könnten. Im Interview auf der DVD The work of director Jonathan Glazer kommentiert Ashcroft dies wie folgt: “The suspense and the paranoia was in the silence, so for there to be silence there had to be no music and for the whole thing to work, the music had to be very low and give a sense of paranoia.” Und bezüglich des Wartens sagt er: “Being on your own in large space, in an open room, we all know that feeling of waiting for someone, you know the song itself was about waiting in a hotel room for your lover, you know, for your life to change at the crossroads”.

IV. Rezeption

Richard Ashcroft’s Debut-Album Alone With Everbody wurde zwiespältig aufgenommen: zum einen wurde ihm eine mangelnde Abgrenzung zu den Werken von The Verve, Selbstverliebtheit und eine überhastete Veröffentlichung vorgeworfen, sowie eine Vernachlässigung seiner Qualitäten als Songwriter zu Gunsten unnötiger Opulenz der Arrangements; zum anderen attestieren ihm seine Verehrer das Können eines Nick Drake und die Neu-Erfindung des Folk-Pop. A SONG FOR THE LOVERS wurde in diesem Zusammenhang als eher untypischer Song des Albums wahrgenommen, der als repräsentative erste Single nicht wirklich die eigentliche Qualität des Albums wiedergeben könne.

Das Album Alone With Everybody war aller Kritik zum Trotz ein großer Erfolg, es stieg in Großbritannien direkt auf Platz 1 der Charts ein, hielt sich insgesamt 22 Wochen in den Top 100 und ist bis dato Ashcrofts erfolgreichste Veröffentlichung nach dem Ende von The Verve. Die Single A SONG FOR THE LOVERS belegte bei Veröffentlichung Platz 3 und blieb lediglich 5 Wochen in den Single-Charts. Jedoch waren sowohl das Album, als auch die Single in anderen europäischen Ländern eher wenig erfolgreich, so konnten sich beide z.B. in Italien jeweils nur kurzzeitig in den Top 10 platzieren.

Das Musikvideo wurde insbesondere durch die bereits erwähnte DVD The work of director Jonathan Glazer als künstlerisch wertvoller Clip kanonisiert. Diese DVD ist insofern ungewöhnlich, da bei Musikvideos zumeist der Interpret als hauptsächlicher Autor rezipiert, hierbei jedoch, analog zu Spielfilmen, der Regisseur des Musikvideos.

 

DANIEL KLUG

 

Credits

Gesang, Songwriting: Richard Ashcroft
Schlagzeug: Peter Salisbury
Keyboard: Kate Radley, Richard Ashcroft
Bass: Pino Palladino
Gitarre: B. J. Cole, Richard Ashcroft
Strings: Will Malone
BPM: 154
Produktion: Chris Potter, Richard Ashcroft
Veröffentlichung: 2000
Länge: Single 5:39
Albumversion 5:26
Music Video: 5:52

Recordings

  • Richard Ashcroft. “A Song For The Lovers”, Alone With Everybody, 2000, Hut Recordings, CDHUT 63, UK (CD/Album).
  • Richard Ashcroft. “A Song For The Lovers”, A Song For The Lovers, 2000, Hut Recordings, HUTCDF128, UK (CD/Single).

References

  • The work of director Jonathan Glazer. Regie: Jonathan Glazer. Drehbuch: Juliette Larthe, 2005. (DVD/DIRDVD5).

Links

  • Basham, David (2000): “Richard Ashcroft Draws Inspiration From Joy Division”.
    URL: http://www.mtv.com/news/articles/1425026/20000525/ashcroft_richard.jhtml [18.11.2011].
  • Artist Homepage: http://www.richardashcroft.co.uk [18.11.2011].

About the Author

Dr. Daniel Klug teaches media sciences at the University of Basel.

Citation

Daniel Klug: “A Song for the Lovers (Richard Ashcroft)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/asongforthelovers, 11/2011 [revised 10/2013].

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Dr. Daniel Klug teaches media sciences at the University of Basel.
All contributions by Daniel Klug
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