AMERICAN PIE ist ein Song auf dem 1971 erschienenen gleichnamigen Album des US-Folkrock-Sängers und Songschreibers Don McLean (*1945). Der Song markierte im Bewusstsein vieler Amerikaner das Ende einer Ära, die voller Turbulenzen, sozialer Unruhen und Protestaktionen gewesen war und die US-Gesellschaft in eine tiefe Zerrissenheit gestürzt hatte.
I. Entstehungsgeschichte
AMERICAN PIE entstand zwischen Januar und Mai 1971. Begonnen hatte McLean den Song im Januar 1971 in seinem Landhaus in Saratoga Spring, New York, kam aber mit dem Text nicht zurecht, sodass er ihn unfertig beiseitelegte. Auf der Suche nach einem Produzenten für sein geplantes zweites Album geriet er an Ed Freeman (*1942), der sich damals als Produzent in der New Yorker Folkmusic-Szene einen Namen zu machen begann. Ihm spielte er das Song-Fragment vor und Freeman bestärkte ihn, an dem Song weiterzuarbeiten. Doch McLean fehlte jede Idee, wo der Text hinführen sollte. Was ihn schließlich zur Fertigstellung inspirierte, bleibt eines der Geheimnisse, die diesen Song umgeben. Fakt ist jedenfalls, dass der Sänger ihn am 12. März 1971 während eines Auftritts in Philadelphia – nicht an der Temple University, wie von ihm selbst angegeben, sondern im Fieldhouse des damaligen St. Joseph’s College, heute St. Joseph’s University (vgl. DeLeon 2012) – zum ersten Mal vor Publikum vortrug. Angeblich sei er erst unmittelbar vor dem Konzert zu Ende gebracht worden. Seine endgültige Gestalt erhielt der Song dann in einem provisorischen Demo-Studio, das Freeman in einer Wohnung in New Yorks Upper West Side eingerichtet hatte, die der Jazz-Legende Cannonball Adderly (1928-1975) gehörte. Zwei Wochen lang probten McLean, Freeman und die vier Begleitmusiker, darunter Bob Rothstein (*1948), der als Studiomusiker zeitgleich mit Bob Dylan arbeitete und ab 1975 unter dem Namen Rob Stoner mit Dylans Rolling Thunder Revue auf Tour ging, an dem Material für das neue Album.
Aufgenommen wurde AMERICAN PIE dann als erster Song des gleichnamigen Albums am 26. Mai 1971 im Studio A von New Yorks Record Plant, einem der damals technisch fortgeschrittensten Studio-Komplexe der Welt, mit Tom Flye (*1945) am Mischpult und den Aufnahmeingenieuren Jack Douglas (*1954), der sich als Produzent von Aerosmith einen Namen machte, und Jimmy Iovine (*1953), der als Produzent von Springsteens Born to Run-Album (1975) und Gründer von Interscope Records in die Geschichte der Popmusik einging. Mehr als 25 Takes brauchte es – allein McLeans Vokalpart ist aus 24 Teilen zusammengesetzt –, um dem auf einer 16-Spur-Maschine produzierten Song seinen einzigartigen Sound zu geben. Produzent Ed Freeman erinnerte sich später: “We took a chord from one take, a chord from another take and threw it all together.” (zit. n. Buskin 2012: 58). Auch der als West Forty Fourth Street Rhythm and Noise Choir ausgewiesene Backgroud-Chor für die letzte Strophe ist ein Overdub-Produkt, die Mehrfachaufnahme von McLean und einigen seiner Bekannten.
Der Song erschien Anfang Oktober 1971, gekoppelt mit “Empty Chairs” vom gleichen Album, zunächst auf einer Promo-Single, die von der Plattenfirma United Artists an die Radio-Stationen verteilt wurde. Dafür musste der fast neun Minuten lange Song auf drei Minuten gekürzt werden. Diese Kurz-Version gab die Plattenfirma im Dezember 1971 für den australischen Markt frei. Später tauchte sie auch in einigen anderen Ländern auf. Die offizielle Veröffentlichung des Songs erfolgte mit dem gleichnamigen Album am 13. Oktober 1971. Für die Singleauskopplung von AMERICAN PIE, die am 17. November 1971 erschien, wurde der Song dann in voller Länge auf die A- und B-Seite der Single aufgeteilt.
II. Kontext
Die tiefe Zerrissenheit der US-amerikanischen Gesellschaft zeigte sich zu Beginn der 1970er Jahre mit dem völlig außer Kontrolle geratenen Vietnamkrieg und den immer härter werdenden Auseinandersetzungen um diesen Krieg. Die die Nation erschütternde Tragödie an der Kent State University in Ohio, wo am 4. Mai 1970 die Nationalgarde in eine Antivietnamkriegsdemonstration auf dem Campus der Universität feuerte und vier Studenten tötete, brachte vielen Amerikanern zu Bewusstsein, dass man so nicht weitermachen konnte. Der Vorfall, ausgelöst durch die Erklärung Richard Nixons vom 30. April 1970, mit einer Invasion in Kambodscha den Vietnamkrieg auszuweiten, führte zu einem landesweiten Studentenstreik an Colleges und Universitäten. Zugleich eskalierten die Rassenunruhen in den USA. Nach der Ermordung des afroamerikanischen Bürgerrechtlers Martin Luther King Anfang April 1968 nahm die Zahl gewaltsamer Vorfälle stetig zu. Vor diesem Hintergrund begannen sich die 1950er Jahre zu verklären als eine Zeit, in der die Welt noch in Ordnung war, mit den USA als unbestrittene Supermacht in ihrem Zentrum.
Auch auf dem Gebiet der Musik schien das Goldene Zeitalter des Rock’n’Roll für immer vergangen. Die in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre viel beschworene Generationsgemeinschaft Jugendlicher, die sich 1969 auf dem Woodstock-Festival ein letztes Mal feierte, zerfiel inzwischen in eine Vielzahl von kommerziellen Trends und Strömungen, von der sich in zahllose Stilrichtungen und Spielweisen ausdifferenzierenden Rockmusik über die ebenfalls immer zahlreicher werdenden schwarzen Musikstile bis hin zu den neuen Disco-Kreationen, die 1971 mit dem Philly-Sound ihren Anfang nahmen. Don McLean, der in AMERICAN PIE die 1950er Jahre heraufbeschwor und im Tod des von ihm hoch verehrten Buddy Holly (1936-1959) durch einen Flugzeugabsturz das Ende der Musik sah (“The day the music died”), traf mit seinem Song deshalb den Nerv nicht nur vieler Amerikaner, denn die Probleme der USA spiegelten sich in der gesamten westlichen Welt.
III. Analyse
AMERICAN PIE ist eine nostalgische Reminiszenz an die Musik der 1950er Jahre und zugleich eine Abrechnung mit der musikalischen Gegenwart vom Anfang der 1970er Jahre, in dem sich für McLean ein Niedergang verkörperte, der zugleich den Weltzustand spiegelte. Der Tag, an dem sein Musikidol bei einem Flugzeugabsturz viel zu früh ums Leben kam, galt McLean als schwärzester Tag in der Musikgeschichte. Der Bezug auf Buddy Holly findet sich im Text freilich nur in Form einer dunklen Anspielung auf jenen 3. Februar 1959, an dem das Flugzeug mit Buddy Holly, Ritchie Valens und “Big Bopper” J. P. Richardson an Bord abstürzte (“But February made me shiver”) – so wie der kryptische Text des Songs insgesamt voller mehrdeutiger Anspielungen steckt.
Eingeleitet wird das Song-Epos von einem gesungenen Intro mit Pianobegleitung, das in poetischen Bildern den doppelten Verlust ausdrückt, der sich für den Sänger aus der Vergangenheit gewordenen Musik der 1950er Jahre (“I can still remember how that music used to make me smile”) und dem frühen Tod seines Idols Buddy Holly ergibt, auch wenn dessen Name nie fällt. Dass er gemeint ist, legt allein der Kontext nahe und das Zitat einer markanten Textzeile aus Buddy Hollys “That’ll Be the Day” im Refrain (“This will be the day that I die”). Der sich anschließende, den Strophen vorangestellte Refrain beschwört Atmosphäre und Musik der 1950er Jahre im Licht des Abschieds herauf (“So bye, bye, Miss American Pie / Drove my Chevy to the levee but the levee was dry”). “Miss American Pie” ist hier das zum Sinnbild gewordene Symbol für die 1950er Jahre, das den typischen amerikanischen Apfelkuchen mit dem populären Bild der Miss America koppelt, die in den USA seit 1921 gewählt wird und in den 1950er Jahren von der neu aufgekommenen Fernsehwerbung aufgegriffen und häufig mit den beworbenen Produkten in Zusammenhang gebracht wurde. Die in diesem Zusammenhang immer wieder kolportierte Behauptung, “Miss American Pie” sei der Name des Flugzeugs, mit dem Buddy Holly abstürzte, ist definitiv falsch, wobei freilich nicht auszuschließen ist, dass McLean ebenfalls diesem Mythos aufgesessen ist.
Die vier Strophen des Textes sind voller Anspielungen auf die Geschichte der Popmusik in den 1950er und 1960er Jahren und das Lebensgefühl Jugendlicher in dieser Zeit, mit einem deutlich negativen Akzent zur Gegenwart McLeans hin: “Moss grows fat on a rollin’ stone” (Dylans Song “Like a Rolling Stone”), “When the jester sang for the king and queen / In a coat he borrowed from James Dean” (Bob Dylan), “While the king was looking down” (Elvis Presley), “While sergeants played a marching tune” (Sgt. Pepper-Album der Beatles), “And while Lenonn read a book on Marx / The quartet practiced in the park” (die Beatles in ihrer ‘revolutionären’ Phase), “Jack flash sat on a candlestick” (“Jumpin’ Jack Flash” der Rolling Stones), “A girl who sang the blues” (Janis Joplin) etc.
Musikalisch hält sich der Song eng an den Textaufbau. Dem zweiteiligen neunzehntaktigen Intro folgt der eigentlich achttaktige Refrain, durch eine harmonisch und melodisch leicht variierte Wiederholung der zweitaktigen Abschlussfigur mit dem markanten Holly-Zitat (“This will be the day that I die”) auf zehn Takte erweitert. Die vier Strophen sind zweiunddreißigtaktig und bestehen aus zweitaktigen melodischen Phrasen, die der Textphrasierung folgen. Nach vierzehn Takten gehen sie in eine Art Prechorus über, in einen Überleitungsteil, der sowohl musikalisch wie textlich zum Chorus bzw. Refrain hinführt. In den Strophen schlägt der erzählende rhapsodische Stil des Anfangs, der auch im sparsam instrumentierten, nur mit Akustikgitarre und eingeworfenen Pianofloskeln begleiteten ersten Refrain beibehalten ist, in einen traditionellen Songstil mit kompletter Instrumentalbegleitung um, inklusive einem dezenten Schlagzeug im Hintergrund. Den Refrains ist dann zusätzlich noch Background-Gesang hinzugefügt. Dem letzten Refrain folgt ein wieder im rhapsodischen Stil des Anfangs gehaltenes siebzehntaktiges Outro, dem sich als Coda erneut der zweimal wiederholte Refrain anschließt, der durch die angehobenen Background-Vocals den Song in einem chorischen Schluss ausklingen lässt.
Zurückhaltend wie die gesamte musikalische Gestaltung bleibt auch die Harmonik, die sich im Wesentlichen um die durch die Dominant- und Subdominantparallele erweiterten Akkorde der authentischen Kadenz der Grundtonart (G-Dur) bewegt. Der Song ist voll und ganz auf den Text und seine gesangliche Umsetzung abgestellt. Nuancierungen ergeben sich allein aus dem Klangdesign des Aufnahmekonzepts, das den Vokalpart Don McLeans spannungsreich mit klanglichen Einfärbungen seines Stimmtimbres anreichert.
IV. Rezeption
Sowohl das Album und mit ihm der Song als auch die Single erwiesen sich als außerordentlich erfolgreich. Das Album katapultierte sich binnen weniger Wochen an die Spitze der amerikanischen Albumcharts, besaß nach sechs Monaten Gold-Status (dies entsprach 1972 einer Million Dollar Umsatz) und hielt sich fast ein Jahr lang in den amerikanischen Charts. Die Single landete im Januar 1972 auf Platz 1 der US-Pop-Charts und hielt sich dort für vier Wochen. Buchstäblich über Nacht war Don McLean zu einem gefeierten Superstar geworden, der es fast in allen Ländern der Welt mit seinem Song auf Platz 1 oder 2 der Charts brachte, sich in Großbritannien sogar 54 Wochen bis 1974 in den Charts hielt. Insbesondere in den USA galt der phänomenale Erfolg von AMERICAN PIE als Zeichen dafür, dass die jahrelange Dominanz britischer Musiker und Bands in den amerikanischen Charts nicht nur beendet war, sondern die in divergierende Szenen und Subkulturen fragmentierte Musikwelt hinter einem Symbol für ihre große Vergangenheit noch immer zusammenkommen konnte. So brachte der Song mit seinen Referenzen zu Buddy Holly und der Geschichte der amerikanischen Popmusik die 1950er Jahre wieder zurück ins Bewusstsein von Industrie und Öffentlichkeit. Insbesondere Buddy Holly war im Radio und auf dem US-Tonträgermarkt nun wieder präsent wie nie zuvor.
Als ein sehr persönliches Statement von Sänger und Songschreiber Don McLean schien der Song es undenkbar zu machen, dass Cover-Versionen, in welcher Form auch immer, Aussicht auf Erfolg hätten haben können. Sieht man von einer 1972 erschienenen, aber kaum beachteten deutschsprachigen Fassung des Songs einmal ab, die Hans Hass Jr. (1947-2009) eingespielt hat, so sollte es dann auch fast dreißig Jahre dauern, bis eine Cover-Version AMERICAN PIE zu einem zweiten Leben erweckte. 2000 nahm sich Madonna (*1958) des inzwischen weitgehend vergessenen Songs in einer stark gekürzten Version im Pop-Dance-Gewand an, um damit den Soundtrack zu ihrem Film The Next Best Thing (2000) zu promoten. Die Single, die in den USA aus rechtlichen Gründen nur in einer Promoversion für die Radio-Stationen erschien, weltweit mit drei weiteren Mix-Versionen des Songs (Richard ‘Humpty’ Vission Radio Mix, Victor Calderone Filter Dub Mix, Richard ‘Humpty’ Vission Visits Madonna Mix) gekoppelt, wurde für die Pop-Diva zu einem globalen Hit.
AMERICAN PIE wurde 2001 von der Recording Industry Association of America und dem National Endowment for the Arts auf Platz 5 der Liste der Songs of the Century, der einflussreichsten und bedeutendsten Songs des 20. Jahrhunderts, gewählt und 2002 von der US Recording Academy in die Grammy Hall of Fame aufgenommen.
Don McLean veräußerte das vierzehnseitige Arbeitsmanuskript des Songtextes am 7. April 2015 über das Londoner Auktionshaus Christies und erzielte damit noch einmal 1,2 Millionen Dollar.
PETER WICKE
Credits
Gitarre, Gesang: Don McLean
Background-Gesang: West Forty Fourth Street Rhythm and Noise Choir
E-Gitarre: David Spinozza
Piano: Paul Griffin
Bass: Bob Rothstein
Schlagzeug: Roy Markowitz
Komposition, Text: Don McLean
Arrangement: Ed Freeman
Produktion: Ed Freeman
Toningenieur: Tom Flye
Recordings
- Don McLean. “American Pie / Empty Chairs”, 1971, United Artists Records, UAK-4511. Au (Vinyl/Single).
- Don McLean. “American Pie – Part 1 / American Pie – Part 2”, 1971, United Artists Records, 50856, USA (Vinyl/Single).
- Don McLean. “American Pie”. On: American Pie, 1971, United Artists Records, UAS-5535, USA (Vinyl/Album).
- Don McLean. “American Pie”. On: American Pie, 1987, EMI Manhattan Records, CDP 7 46555 2, USA (Remastered, CD/Album).
Covers
- Hans Hass Jr. “American Pie Part 1 / American Pie 2”, 1972, Polydor, 2041 253, DE (Vinyl/Single).
- Madonna. “American Pie (Album Version) / American Pie (Richard “Humpty” Vission Radio Mix)”, 2000, Maverick/Warner Bros. Records, PRO-A-100115, USA (Vinyl/ Maxi-Single, Promo).
- Madonna. “American Pie (Album Version) / American Pie (Richard ‘Humpty’ Vission Radio Mix) / American Pie (Victor Calderone Filter Dub Mix) / American Pie (Richard ‘Humpty’ Vission Visits Madonna)”, 2000, Maverick / Warner Bros. Records, 9362448372, EU (CD/Single).
- Madonna. “American Pie”. On: Music, 2000, Maverick/Warner Bros. Records, 9362-47865-2 (CD/Album).
References
- Howard, Allan: The Don McLean Story. Killing Us Softly with His Songs. Rochester, NY: Starry Night Music 2007.
- DeLeon, Clark: Memory Banks a Little off, But the Sentiment Holds. In: Philadelphia Inquiry – philly.com, 13 August 2012. URL: http://articles.philly.com/2012-08-13/news/33168161_1_don-mclean-miss-american-pie-laura-nyro [08.02.2016].
- McLean, Don/Cochran, Michael: Don McLean – American Troubadour. Milwaukee, WI: Hal Leonard 2013.
- Buskin, Richard: Classic Tracks: Don McLean ‘American Pie’. In: Sound on Sound, 12 March 2012. URL: http://www.soundonsound.com/techniques/classic-tracks-don-mclean-american-pie [08.02.2016].
Links
- https://www.youtube.com/watch?v=tr-BYVeCv6U [08.02.2016].
- http://www.don-mclean.com [08.02.2016].
About the Author
All contributions by Peter Wicke
Citation
Peter Wicke: “American Pie (Don McLean)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost. http://www.songlexikon.de/songs/americanpie, 03/2017.
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