1999
blink-182

All the Small Things

1999 veröffentlichte die Band blink-182 ihr drittes Studioalbum Enema of the State. ALL THE SMALL THINGS wurde als zweite Singleauskopplung ausgewählt und trug nicht zuletzt durch den Videoclip, in dem verschiedene Musikvideos von Boybands und weiteren Popmusikerinnen und Popmusikern parodiert werden, zum internationalen Durchbruch der Gruppe bei.

 

I. Entstehungsgeschichte

Der Autor des Songs ist Gründungsmitglied, Gitarrist und Sänger Tom DeLonge. Ihm zufolge hätten der Band zu Beginn der Aufnahmearbeiten am Album Enema of the State bereits genügend neue Songs zur Verfügung gestanden, er habe jedoch einen radiotauglichen Hit vermisst und infolgedessen ALL THE SMALL THINGS geschrieben: “I knew that I needed just one song that was really catchy and basic, so I wrote this” (zit. n. Browne 2005: 51). Wenngleich man den Song erst recht spät aufgenommen habe und er die Bandmitglieder anfangs eher gelangweilt habe, sei das Hitpotenzial nach der Aufnahme doch direkt erkennbar gewesen (vgl. Shooman 2010: 74). Hierzu Tom DeLonge: “Once we recorded this song and heard it, it gave us the chills. We just looked at each other and knew that we had this little piece of magic. We knew that this was going to be a gigantic thing” (zit. n. Browne 2005: 51).

 

II. Kontext

Blink-182 gehören zu den erfolgreichsten Punkbands der vergangenen drei Jahrzehnte und werden meist dem Subgenre Pop-Punk zugeordnet. Ihre Karriere begann 1992 und erreichte sieben Jahre später mit dem Album Enema of the State einen vorläufigen Höhepunkt. Dabei profitierten blink-182 vom immensen Erfolg von Bands wie Green Day und The Offspring, deren Wurzeln im Punkrock liegen, die sich aber in musikalischer und inszenatorischer Hinsicht von dessen provokativen, dilettantischen und nihilistischen Konventionen abwandten. Professionelle Tonstudio- und Videoclipproduktionen führten dazu, dass Punkbands nun international erfolgreich wurden und bisweilen Millionenseller veröffentlichten. Blink-182 fielen Ende der 1990er-Jahre insbesondere durch provokante Albernheit auf, beispielsweise durch das Front- und Back-Cover von Enema of the State, dessen Titel an den Film Enemy of the State (1998) angelehnt ist. “Enema” lässt sich mit “Einlauf” übersetzen, auf dem Frontcover ist die Pornodarstellerin Janine Lindemulder in Krankenschwesternkleidung und beim Überziehen eines blauen Latexhandschuhs zu sehen. Auf dem Backcover ist Lindenmulder sodann zusammen mit den drei Bandmitgliedern, ausgestattet mit einer Spritze und offenbar den im Titel des Albums erwähnten Einlauf vorbereitend in einer Arztpraxis abgebildet. Auch im Videoclip zur ersten Singleauskopplung “What’s My Age Again” ist Lindenmulder kurz zu sehen. Das Musikvideo erregte in erster Linie durch die Nacktheit der Musiker weitreichende Aufmerksamkeit. Während des Clips laufen Tom DeLonge, Mark Hoppus und Travis Barker unbekleidet durch die Straßen von Los Angeles, während ihre Genitalbereiche nur verpixelt zu sehen sind. Die Bandmitglieder selbst betonen, an der Pflege ihres jugendlichen bis kindlich-albernen Images stets großen Spaß gehabt zu haben: Hierzu Bassist und Sänger Mark Hoppus: “You only get a few years to act like an immature bastard and have a good time and get paid a ridiculous amount of money for it” (zit. n. Hoppus et al. 2001: 91). Jugendliche Albernheit ließe sich auch dem Videoclip zu ALL THE SMALL THINGS unterstellen, jedoch zeugt dessen Produktion ebenso von strategischem Geschick. In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre feierten Boybands wie die Backstreet Boys und *NSYNC sowie Sängerinnen wie Britney Spears und Christina Aguilera unter dem Label Teen Pop enorme Erfolge. Deren Musikvideos wurden von blink-182 parodiert, Tom DeLonge weist darauf hin, dass es sich aufgrund der immensen Popularität der Teen-Pop-Acts schlicht um “perfect timing” (zit. n. Browne 2005: 51) gehandelt habe. Während sich die Band also in ironischer Weise von zeitgenössischen Popproduktionen zu distanzieren schien, wurde sie durch ALL THE SMALL THINGS mehr denn je in deren Nähe gerückt und profitierte zugleich vom Erfolg der Boybands und den sogenannten Pop-Sternchen. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Marcus Siega, der Regisseur des Clips: “I think that that video put blink at that sort of pop level with those other bands. We were making fun of them, but it kind of became [what it was making fun of]” (zit. n. Shooman 2010: 75).

 

III. Analyse

Tom DeLonges Intention, einen Song zu schreiben, der möglichst “catchy and basic” (zit. n. Browne 2005: 51) sein sollte, spiegelt sich in der musikalischen Struktur von ALL THE SMALL THINGS wider. In formaler Hinsicht folgt der Song einem übersichtlichen Schema: Intro, Verse, Prechorus und Chorus werden einmal in dieser Abfolge wiederholt, bevor ein instrumentales Zwischenspiel zum abschließenden Chorus überleitet. Abgesehen vom Verse basieren alle Formteile auf der Akkordfolge C | C | G | F, im Verse wird das Akkordschema variiert und lautet C | G | F | G. DeLonges Hauptstimme schreitet während des kompletten Songs einen vergleichsweise geringen Ambitus von einer kleinen Septime (g’ bis f”) aus. In den Verses fügt der Sänger gelegentlich, im Prechorus durchgehend zweite Stimmen hinzu und im Chorus sind etliche Stimmen zu hören. Die Instrumentierung beschränkt sich im Wesentlichen auf Schlagzeug, Bass und Gitarre, bisweilen ergänzt durch ein Klavier und einen Synthesizer. Der Songtext handle laut DeLonge von seiner damaligen Freundin und heutigen Ehefrau, die aufgrund seiner Arbeit im Tonstudio oftmals bis nachts auf ihn habe warten müssen. Die Zeilen “she left me roses by the stairs / surprises let me know she cares” referierten dabei auf eine wahre Begebenheit, da sie ihn einmal nach einem langen Arbeitstag tatsächlich mit Blumen überrascht habe (vgl. ebd.). Der Chorus, der lediglich auf einer Aneinanderreihung der Silbe “na” basiert, sei hingegen von den Ramones inspiriert. In deren Songs finde sich häufig “that ‘na-na-na-na’ thing” (zit. n. ebd.) und DeLonge empfinde die Band als großen Einfluss.

Der Videoclip zu ALL THE SMALL THINGS parodiert insgesamt zehn zeitgenössische Popmusikvideos, zudem findet sich eine Referenz auf den Clip zu “What’s My Age Again”. Die Abfolge der Clipelemente folgt keiner bestimmten Reihenfolge, die parodierten Videos werden im Folgenden in der Abfolge ihres erstmaligen Erscheinens im blink-182-Clip beschrieben. Der Anfang des Clips zeigt die drei Bandmitglieder vor einem vermeintlichen Privatjet, den das offizielle Logo der Band ziert. In weißen Anzügen gekleidet schreiten die Musiker auf eine zentrale Szenerie zu: einen Flugzeughangar, in dem sie vor jubelnden Fans wahlweise an ihren Instrumenten performen oder tanzen. Diese Szenen sind dem Videoclip zu “I Want It That Way” (1999) der Backstreet Boys nachempfunden, in dem die Sänger der Boyband ebenfalls vor einem Flugzeug und anschließend in einem Hangar zu sehen sind. Selbst der Flugzeuglärm, der zu Beginn des Backstreet-Boys-Clips zu hören ist, wurde für ALL THE SMALL THINGS nachempfunden. Es handelt sich hierbei um die Szenerie, die im gesamten Clip am meisten Raum einnimmt. Die anschließenden Tanzszenen lassen klare Bezüge zum Musikvideo zu “Tearin’ Up My Heart” (1997) der Gruppe *NSYNC erkennen, was vor allem der Kameraperspektive sowie der Anordnung der Tänzerinnen und Tänzer geschuldet ist. Im selben Setting sind die Musiker von blink-182 später auch an ihren Instrumenten zu sehen. Später posieren die Bandmitglieder, gekleidet in bunten Satinhemden und teils mit geschminkten Zahnlücken, vor einem blauen Hintergrund. Vorbild für diese Szene ist der Clip zum Song “Creep”, den die R&B-Band TLC 1994 veröffentlichte. Die Aufnahmen, die blink-182 in Schwarz-Weiß gemeinsam am Strand zeigen, sind hingegen dem Clip zu “Someday” (1999) der Band Sugar Ray nachempfunden. Am Strand spielen auch mehrere Szenen, die Britney Spears’ “Sometimes” (1999) und 98°s “Because of You” (1999) parodieren. Einerseits wird Tom DeLonge mit einem Strandfernrohr gezeigt, das er im Verlauf des Clips auch küsst und durch das er Mark Hoppus beobachtet, der am Strand mit einem Hund spielt und anschließend von diesem gebissen wird. Zudem ist DeLonge mit blonder Perücke und einem Wasserball zu sehen. All diese Szenen finden sich in abgewandelter Form auch in Spears’ Videoclip, die Outfits der Musiker lehnen sich hingegen stark am Musikvideo von 98° an. Auf Christina Aguileras “Genie in a Bottle” (1999) verweist die Einstellung, in der wahlweise DeLonge alleine oder die Bandmitglieder zusammen wiederum am Strand, dieses Mal aber liegend und umgeben von Blumen zu sehen sind. An den bandeigenen Clip zu “What’s My Age Again” erinnert folgend eine Szene, in der die Bandmitglieder nackt am Strand entlanglaufen. Mark Hoppus wird im Folgenden gemeinsam mit zwei ihn umgarnenden Frauen in einem Lokal gezeigt, eine seiner Begleiterinnen überschüttet ihn dabei mit Kerzenwachs. Eine sehr ähnliche Szene enthält auch der Clip zu Ricky Martins Song “Livin’ La Vida Loca” (1999). Auf ein weiteres Musikvideo der Boyband 98°, “I Do (Cherish You)” (1999), nimmt eine Szene Bezug, in der Schlagzeuger Travis Barker gemeinsam mit seiner weiblichen Begleitung am Strand entlangläuft, bis die beiden zu Boden fallen, sich küssen, im Sand wälzen und schließlich fest umschlungen in die Brandung rollen. Im Original-Clip bestreitet 98°-Mitglied Jeff Timmons eine ähnliche Szene, in der der Musiker jedoch eleganter dargestellt wird und nicht ins Wasser rollt. Zudem werden die Musiker von blink-182 in verschiedenen Einstellungen in weißen Hemden gefilmt, wahlweise mit in künstlichem Wind wehenden Haaren oder übergossen von vermeintlichem Regen. Diese Einstellungen orientieren sich am Videoclip zum Backstreet-Boys-Song “Quit Playing Games (With My Heart)” (1997).

 

IV. Rezeption

ALL THE SMALL THINGS wurde ein großer Verkaufserfolg und erreichte unter anderem den zweiten Platz der britischen und den sechsten der US-amerikanischen Charts (vgl. Shooman 2010: 74). Zeitgleich konnten von dem Album Enema of the State weltweit mehr als sechs Millionen Einheiten verkauft werden, in den USA, Kanada, Australien, Neuseeland und Italien erreichte das Album Platinstatus (vgl. Hoppus et al. 2001: 90). Im Jahr 2000 wurde der Videoclip im Rahmen der MTV Video Music Awards in der Kategorie “Best Group Video” ausgezeichnet.

 

BENJAMIN BURKHART


Credits

Gesang: Tom DeLonge
Gitarre: Tom DeLonge
Bass: Mark Hoppus
Schlagzeug: Travis Barker
Klavier/Synthesizer: Roger Joseph Manning Jr.
Songwriting: Tom DeLonge/Mark Hoppus
Produzent: Jerry Finn
Label: MCA
Aufgenommen: 1999
Veröffentlicht: 1999
Dauer: 2:54

Recordings

  • 98°. “Because of You”, Because of You, 1999, Motown, 422860830-2, USA (CD/Single).
  • 98°. “I Do (Cherish You)”, I Do (Cherish You), 1999, Universal, USP-1574, USA (CD/Single).
  • Backstreet Boys. “I Want It that Way”, I Want It that Way, 1999, Jive, Jdj-42595-2-X, USA (CD/Single).
  • Backstreet Boys. “Quit Playing Games (With My Heart)”, Quit Playing Games (With My Heart), 1997, Jive, JDJ-42488-2, USA (CD/Single).
  • blink 182. “All the Small Things”, All the Small Things, 1999, MCA, 088 155 606-2, USA (CD/Single).
  • blink 182. “All the Small Things”, Enema of the State, 1999, MCA, MCADE-11950, USA (CD/Album).
  • blink 182. “What’s My Age Again”, Enema of the State, 1999, MCA, MCADE-11950, USA (CD/Album).
  • Britney Spears. “Sometimes”, Sometimes, 1999, Jive, JDJ-42576-2, USA (CD/Single).
  • Christina Aguilera. “Genie in a Bottle”, Genie in a Bottle, 1999, RCA, RCA 07863 65692-2, USA (CD/Single).
  • *NSYNC. “Tearin’ Up My Heart”, Tearin’ Up My Heart, 1998, RCA, RDJ 65484-2, USA (CD/Single).
  • One Direction. “What Makes You Beautiful”, What Makes You Beautiful, 2011, Syco, 88697860492, Europa (CD/Single).
  • Ricky Martin. “Livin’ La Vida Loca”, Livin’ La Vida Loca, 1999, Columbia, 38K 79124, USA (CD/Single).
  • Sugar Ray. “Someday”, Someday, 1999, Atlantic, 84536, USA (CD/Single).
  • TLC. “Creep”, Creep, 1994, LaFace, 73008-24088-2, USA (CD/Single).

References

  • Browne, Nichola: Punk Rock. Nudity. Filthy Sex. Tom DeLonge Looks Back on blink 182’s Greates Moments. In: Kerrang! 1083 (2005), S. 50–53.
  • Hoppus, Anne/Hoppus, Mark/DeLonge, Tom/Barker, Travis: blink-182. Tales from Beneath your Mom. New York: Pocket Books 2001.
  • Shooman, Joe: blink-182. The Bands, the Breakdowns & the Return. Church Stretton: Independent Music Press 2010.

About the Author

Benjamin Burkhart is senior scientist at the Institute for Jazz Research at the University of Music and Performing Arts Graz.
All contributions by Benjamin Burkhart

Citation

Benjamin Burkhart: “All the Small Things (blink-182)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/all-the-small-things, 12/2022.

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