1985
Artists United Against Apartheid

Sun City

SUN CITY (1985) war ein Protest-Song gegen das Apartheidsregime in Südafrika, an dem eine Reihe der populärsten Stars der Popmusik beteiligt war und der im Mittelpunkt eines Projekts zur Unterstützung von Anti-Apartheid-Initiativen stand.

I. Entstehungsgeschichte

Steven Van Zandt (*1950), bekannt als “Little Steven”, mit einer mehrjährigen Unterbrechung Gitarrist in Bruce Springsteens E Street Band, ergriff angeregt durch die 1985 für Schlagzeilen sorgenden Charity-Projekte Band Aid, Live Aid und USA for Africa die Initiative zu einer Aktion, die politisch um einiges radikaler war. Sie zielte auf das Apartheidsregime in Südafrika und sollte sich nicht nur auf ein karitatives Projekt zum Einsammeln von Hilfsgeldern beschränken. Sun City war ein Casino Ressort in Bantusan im Südwesten des Landes, in dem die Regierung Südafrikas Anfang der 1980er Jahre unter der Bezeichnung Independent Homeland eine den Indianer-Reservaten in den USA ähnliche Ansiedelung von schwarzen Afrikanern durchzusetzen suchte. Van Zandt hatte den Ort 1984 auf einer Reise nach Südafrika kennengelernt. Im Anschluss daran schrieb er mit SUN CITY einen Protest-Song, der die dortigen Zustände anprangerte und sie ins Verhältnis zu ähnlichen Verletzungen von Menschenrechten in den USA setzte, etwa die ethnische Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerungsminderheit und der nordamerikanischen Indianer. Die Idee, mit einem Song politisch Stellung zu beziehen, ging auf Peter Gabriels “Biko” (1980) zurück, der dem 1977 ermordeten südafrikanischen Anti-Apartheids-Aktivisten Steve Biko gewidmet ist. Der mit Steven Van Zandt befreundete Fernseh-Journalist, Danny Schechter (*1942), der mit investigativen Reportagen in den US-Mainstream-Medien auch über Südafrika auf sich aufmerksam gemacht hatte, unterstützte die Idee und gründete gemeinsam mit Van Zandt und dem HipHop-Produzenten Arthur Baker (*1955) die Initiative Artists United Against Apartheid, die nicht nur die Elite der Popstars der Welt zu einer jener Supergroups zusammenbrachte, die seit dem britischen Projekt Band Aid Schule machten, sondern zugleich als ein Aufklärungsprojekt angelegt war, das den privilegierten Medienzugang der Stars nutzte, um die Politik der Apartheid als ein Synonym für Menschenrechtsverletzungen überall auf der Welt anzuprangern. Vor allem aber ging es um einen kulturellen Boykott des südafrikanischen Regimes, denn die beteiligten Künstler verpflichteten sich, nicht in Südafrika aufzutreten und warben dafür, dass andere es ihnen gleichtaten. Symbolisch sollte dabei die “Apartheid” auch in der Musikbranche durchbrochen werden – durch Beteiligung von Vertretern unterschiedlicher ethnischer Gruppen wie der südafrikanischen Vokalgruppe The Malopoets oder dem panamaischen Latin-Star Rubén Blades (*1948), durch Zusammenführung verschiedener Generationen, von dem Jazz-Veteranen Miles Davis (1926-1991), den Rock-Veteranen Keith Richard (*1943, Rolling Stones) und Pete Townshend (* 1945, The Who) bis hin zu den HipHop-Stars der frühen 1980er Jahre wie Afrika Bambaataa (*1960) oder DJ Cheese (*1962), und schließlich durch Einbeziehung verschiedener Musikstile wie Rock, Pop, Funk, Soul, Rhythm & Blues, Rap, HipHop, Latin und Jazz. Der Initiative Artists United Against Apartheid gehörten mehr als einhundert Mitglieder an, darunter über fünfzig Stars und eine Reihe der namhaftesten Toningenieure der Welt, da jeder der beteiligten Künstler seinen Part in einem Studio seiner Wahl aufnahm. SUN CITY ist aus mehr als dreihundert Einzeltakes zusammengesetzt. Insgesamt kam aber noch wesentlich mehr Material zusammen, so dass mehrere Versionen des Songs abgemischt wurden, um möglichst viel davon unterzubringen. Danach war immer noch soviel da, dass sich Steven Van Zandt und Arthur Baker entschlossen, den Rest in neue Titel zu integrieren und aus dem ursprünglichen Single-Projekt ein Album zu machen. So entstanden bemerkenswerte SUN CITY-Ableger wie “No More Apartheid”, das im Wesentlichen auf dem Beitrag Peter Gabriels (*1950) beruht, oder die Rap- und Jazz-Collage “Let Me See Your I.D.”, die Miles Davis, Sonny Okosun und Herbie Hancock mit Rap-Pionieren wie Gil Scott-Heron (1949-2011), Duke Bootee (*1960) oder Grandmaster Melle Mel (*1961) zusammenführte. Der Beitrag von Bono (*1960), Leadsänger von U2, kam so spät, dass er auch auf dem schon im Druck befindlichen Cover des Albums nicht mehr ausgewiesen werden konnte. Er war mit Unterstützung von Ron Wood (*1947) und Keith Richards (*1943) von den Rolling Stones entstanden und wurde als “Silver and Gold” an die B-Seite des Albums angehängt.

Die Single erschien am 25.Oktober 1985 sowohl im 7-inch- wie im 12-inch-Format, das Album wenige Wochen später am 7. Dezember 1985. Danny Schechter organisierte eine die Aufnahmen begleitende “Making of”-Dokumentation sowie ein in den Straßen und auf den Plätzen Manhattans aufwendig produziertes Musikvideo, in das aufrüttelnde Bilder aus den südafrikanischen Townships zwischengeschnitten waren. Für die Produktion des Videos kamen die beteiligten Stars, die den Song nicht gemeinsam aufgenommen hatten, dann schließlich doch noch zusammen.

II. Kontext

Die Anti-Apartheidsbewegung spielte in den USA angesichts der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für rassistische Diskriminierungen der Afroamerikaner eine immens große Rolle. Schon Anfang der 1970er Jahre setzte sich der sogenannte Congressional Black Caucus, ein Zusammenschluss aller afroamerikanischen Kongress-Mitglieder, für den Kampf gegen das Apartheidsregime in Südafrika ein. Eine erste parlamentarische Gesetzesvorlage, mit der die Apartheidspolitik in Südafrika verurteilt wurde, datiert aus dem Jahr 1972. Das in den 1960er Jahren in Großbritannien gegründete Anti-Apartheid Movement (AAM) erhielt in den USA im Verlauf der 1970er Jahre breiten Zulauf, wobei vor allem Kulturschaffende aller Couleur dafür sorgten, dass sich der Anti-Apartheidsgedanke auch in den USA verbreitete und zu einer Protestbewegung wurde, die sich nicht nur um Hilfsprojekte für die schwarze Bevölkerung Südafrikas kümmerte, sondern vor allem die Investitionen US-amerikanischer Unternehmen in Südafrika anprangerte. Auch die Bürgerrechtsbewegung in den USA nahm sich dieses Anliegens an. Das SUN CITY-Projekt stand also im Kontext einer lang anhaltenden und breiten Protestbewegung gegen das Apartheidsregime in Südafrika. Es sollte dann auch der Höhepunkt dieser Bewegung werden, denn 1986 beschloss der US-Kongress schließlich mit dem Comprehensive Anti Apartheid Act ein Gesetz, das Handelsbeziehungen mit dem Regime in Südafrika ebenso verbot wie Investitionen US-amerikanischer Firmen in Südafrika. Diesem Boykott schlossen sich die wichtigsten Länder des Westens an, was 1990 schließlich zum Ende der Apartheid in Südafrika führte.

III. Analyse

Der Song besteht aus 32taktigen und 16taktigen Abschnitten, die zu unterschiedlichen Einheiten zusammengefügt sind, in die die verschieden langen Beiträge der beteiligten Künstler so eingebaut werden konnten, dass dennoch eine erkennbare Verse-Chorus-Form entsteht. Das Zentrum des Songs, sowohl inhaltlich wie musikalisch, bildet der 16taktige Chorus, der – abweichend von der Regel – die Textzeile “You got to say / I, I, I Ain’t gonna play Sun City” nicht wie üblich strikt wiederholt, sondern das Wortmaterial jedes Mal leicht abwandelt. Er besteht aus zwei melodisch und harmonisch weitgehend identischen 8-Takt-Gruppen und wird schon beim ersten Auftreten am Beginn des Songs durch Wiederholung seiner 16 Takte auf die doppelte Länge gedehnt. Hier enthält der Text nur die Worte “Sun City”, der sonstige textliche Aufbau und melodische Verlauf sind mit Vokalisen nur angedeutet. Ein Trompetensolo von Miles Davis, das die Hauptmelodie in den ersten 16 Takten umspielt, gibt ihm den Charakter eines Intros. Nach der ersten Strophe folgt der Chorus noch einmal wiederholt (“You got to say / I, I, I Ain’t gonna play Sun City / I, I, I ain’t gonna play Sun City / Everybody say / I, I, I Ain’t gonna play Sun City I, I, I, I, I / ain’t gonna play Sun City”). Zwischen die folgenden Strophen ist er dann mit verschiedener Länge gesetzt, wobei die achttaktige melodische Phrase aus der er besteht, in dem komplexen musikalischen Ablauf als ein ausgesprochen einprägsamer Anker fungiert. Der appellative Charakter, die rhythmisch prägnante Wiederholung des “I” und der zumeist chorische Vortrag machen ihn zu einem leicht erinnerbaren Fokus des Songs.

Die sechs 32taktigen Strophen werden von in rascher Folge wechselnden Gesangsstars vorgetragen und sind ebenfalls symmetrisch aus zwei 16-Taktgruppen zusammengefügt. Da der Wechsel der Vokalstimmen fast immer zeilenweise erfolgt, ist die Architektur des Songs von einem sequenziellen Rhythmus durchzogen, der sich als eine zweite, die Form konstituierende Ebene über die klassische Vers-Chorus-Form legt. Der sequenzielle Aufbau ist charakteristisch für viele HipHop-Songs der 1980er Jahre, so dass auch in der Architektur des Songs das Prinzip erkennbar ist, das ihn insgesamt kennzeichnet – der Aufbau aus disparaten musikalischen Elementen, die geschickt zu einer Einheit verbunden sind. Die Instrumentaltracks sind aus musikalisch heterogenen Partikeln collageartig zusammengefügt, so dass ästhetisch und stilistisch eigentlich unvereinbare musikalische Elemente zu einer Gesamttextur verschmelzen. Unterlegt ist sie mit einem in Verse und Chorus gleichermaßen durchlaufenden zweitaktigen Bläser-Riff, der mit Schlagzeug, Bass und Perkussion eine weitere Ebene ergibt, die als musikalische Konstante die 300 Einzeltakes, aus denen der Songs montiert ist, zusammenhält. Der Text schildert nicht nur die menschenverachtende Umsiedlungspolitik, mit der das Apartheidsregime in Südafrika die Independent Homelands als Sonderzonen durchzusetzen suchte, sondern übt in einer von Joey Ramone (1951-2001), Leadsänger der Ramones, vorgetragenen Passage auch direkte Kritik an der Politik Reagans (“Constructive engagement is Ronald Reagan’s plan / Meanwhile people are dying / And giving up hope / This quiet diplomacy / Ain’t nothing but a joke”), mit der Konsequenz, dass der Song in den USA selbst der Zensur ausgesetzt war.

IV. Rezeption

Obwohl der Song eine außerordentlich große öffentliche Wirksamkeit entfaltete, hatte er in kommerzieller Hinsicht, was die Verkäufe der Single wie auch des Albums anbelangte, einen eher bescheidenen Erfolg. Er erreichte in den USA nur Platz 38 der Single-Charts und brachte es auch in anderen Ländern nur selten unter die Top Ten. Der Grund dafür lag in der musikalischen Gestaltung, die sich mit der Zusammenführung verschiedener Musikstile dem Zielgruppenmarketing entzog und damit in den Programmen des kommerziellen Rundfunks keinen Platz fand. So lief er überhaupt nur in etwa der Hälfte der US-Radiostationen, wobei eine ganze Reihe von ihnen es angesichts der im Song offen formulierten Kritik an Ronald Reagans Haltung abgelehnt hatten, ihn ins Programm aufzunehmen. Angesichts dessen sind die erreichten Verkaufszahlen dann allerdings schon beachtlich, denn zumindest in den USA sind Single-Verkäufe ohne Radio-Unterstützung kaum möglich. Von den Musikkritikern des Landes wurde der Song dagegen einhellig als einer der besten des Jahres gefeiert. Der Pazz & Jop Poll der New Yorker Zeitung Village Voice, der zu den einflussreichsten Kritikerumfragen in den USA gehört, erklärte SUN CITY 1985 zur besten Single des Jahres. SUN CITY hat nicht nur sein politisches Ziel erreicht, den kulturellen Boykott Südafrikas. Der Song wurde zugleich zu einem der Wegbereiter für den HipHop, der damals gerade bekannt zu werden begann.

 

PETER WICKE


Credits

Komposition/Text: Steven Van Zandt
Produzent: Arthur Baker, Steven Van Zandt, Keith LeBlanc
Vocals: Afrika Bambaataa, Ray Barretto, Stiv Bators, Pat Benatar, Big Youth, Rubén Blades, Kurtis Blow, Bono, Duke Bootee, Jimmy Cliff, George Clinton, Will Downing, Annie Brody Dutka, Bob Dylan, The Fat Boys, Peter Gabriel, Peter Garrett, Bob Geldof, Lotti Golden, Robert Gordon, Daryl Hall, Daryl Hannah, Nona Hendryx, Kilgore, Linton Kwesi Johnson, Kashif, Eddie Kendricks, John Oates, Grandmaster Melle Mel, Darlene Love, Malopoets, Kevin McCormick, Michael Monroe, B.J. Nelson, Sonny Okosun, Bonnie Raitt, Joey Ramone, Lou Reed, Keith Richards, David Ruffin, Run-D.M.C., Scorpio, Gil Scott-Heron, Shankar, Tina B., Steve Walker, Peter Wolf, Bobby Womack
Bass: Jackson Browne, Ron Carter,
Gitarre: Stanley Jordan, John Oates, Bruce Springsteen, Pete Townshend, Doug Wimbish, Ron Wood
Keyboards: Herbie Hancock, Robbie Kilgore, Richard Scher, Zoe Yanakis
Saxofon: Clarence Clemons,
Trompete: Miles Davis
Violine: Lakshminarayana Shankar
Scratching: DJ Cheese, Jam Master Jay, Tony Williams
Congas: Ray Barretto
Schlagzeug: Keith LeBlanc, Benjamin Newberry, Zak Starkey, Ringo Starr
Engineer: Bobby Cohen, Peter Darmi, John Davenport, James Geddes, Jeff Hendrickson, Steve Khan, Chris Lord-Alge, Tom Lord-Alge, Patrick McCarthy, Michael O’Donnell, Rob Paustian, Steve Peck, Bill Price, Roey Shamir, Michael Smith, George Tutko, Andy Wallace, Gary Wright
Assistant Engineer: Steve Antebi, Steve Boyer, Jamie Chaleff, Scott Church, Ken Collins, Bridget Daly, Alan Friedman, Chris Lunwinski, Kevin Maloney, Barbara Milne, Michael Nicoletti, Mark Russack, Stephen Scharrott, Ken Steiger, David Sussman , Tony Viamontes, Michael Visceglia, Michel Weber
Mixing: Bob Clearmountain, Jay Burnett , Peter Darmi , John Davenport, Frank Filipetti, Chris Lord-Alge, Tom Lord-Alge

Recordings

  • Artists United Against Apartheid. Sun City / Not So Far Away (Dub Version), 1985, Manhattan Records, B50017, US ‎(7″ Single).
  • Artists United Against Apartheid. Sun City (Last Remix) / Sun City (Dub Version), 1985, Manhattan Records, ‎V-56013, US (12″ Single).
  • Artists United Against Apartheid. Sun City (Rock Version), 1985, Manhattan Records, SPRO-9544-5, US ‎(12″ Promo-Single).
  • Artists United Against Apartheid. “Sun City”, Sun City, 1985, Manhattan Records, 24 0467 1, US (Vinyl/LP/Album).
  • Artists United Against Apartheid. “Sun City II”, Sun City, 1985, Manhattan Records, 24 0467 1, US (Vinyl/LP/Album).

References

  • Marsh, Dave: Sun City by United Artists Against Apartheid, New York: Viking / Penguin 1985.
  • Ullestad, Neal: Rock and Rebellion: Subversive Effects of Live Aid and Sun City. In: Popular Music 6/1 (1987), 67-76.

Links

  • http://hereandnow.wbur.org/2013/12/10/anti-apartheid-music (The Music Of Liberation: Steven Van Zandt And Danny Schechter On ‘Sun City’, [26.05.2014]).

About the Author

Prof. Dr. Peter Wicke is a retired professor of musicology. From 1992 to 2016 he held the chair for "Theory and History of Popular Music" at the Humboldt University Berlin.
All contributions by Peter Wicke

Citation

Peter Wicke: “Sun City (Artists United Against Apartheid)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/suncityartistsunited, 05/2014 [revised 05/2014].

Print