1971
Johnny Cash

Man in Black

MAN IN BLACK ist der fünfte Track auf dem gleichnamigen 38. Album von Johnny Cash.

I. Entstehungsgeschichte

Nach einem Live-Album, The Johnny Cash Show (1970), sowie zwei Soundtrack-Alben, I Walk the Line (1970) und Little Fauss and Big Halsy (1971), veröffentlichte Johnny Cash im Jahr 1971 mit Man in Black sein erstes ‘reguläres’ Studioalbum seit The World of Johnny Cash (1970). Die Liedtexte darauf sind vielfach politisch und gesellschaftskritisch, ob direkt wie in MAN IN BLACK und “Singin’ in Vietnam Talkin’ Blues” oder indirekt wie bei “Dear Mrs.” oder “Orphan of the Road”.

Aufgenommen und produziert wurde der Song von Johnny Cash selbst. Columbia Records veröffentlichte MAN IN BLACK (2:52) im März 1971 als Single des gleichnamigen Albums, auf der B-Seite war “Little Bit of Yesterday” zu hören.

Bereits am 17. Februar 1971 führte er das gerade eben fertiggestellte Lied seinem Publikum in der Johnny Cash Show vor, die an diesem Tag das Thema “Johnny Cash On Campus” hatte. Eine Woche zuvor hatte sich Johnny Cash mit Studenten über aktuelle weltpolitische Themen und Fragen hierzu unterhalten, die er mitunter nicht zu beantworten vermochte. Dies inspirierte Johnny Cash dazu, MAN IN BLACK zu schreiben, was innerhalb der folgenden Woche geschah. In der Show singt Cash eine Version, die an einzelnen Stellen nicht mit der später veröffentlichten Album-Version übereinstimmt. So singt er z. B. in der ersten Strophe “and why does my appearance always have a somber tone”, wohingegen er das “always” in der veröffentlichten Albumversion abschwächt und es mit einem “seem to” ersetzt. Am Ende des Songvortrags wird Cash vom TV-Publikum überschwänglich bejubelt und mit Standing Ovations bedacht.

MAN IN BLACK wurde in der damaligen Besetzung der Formation Johnny Cash & The Tennessee Three aufgenommen:

Johnny Cash (akustische Gitarre und Gesang), Carl Perkins (E-Gitarre), Marshall Grant (Bass), W. S. Holland (Schlagzeug). Zudem erschien der Song auf zahlreichen offiziellen und inoffiziellen Best-of-Platten, jedoch, da er nach Cashs zwei erfolgreichen Live-Alben At Folsom Prison und At San Quentin veröffentlicht wurde, nur auf einem offiziellen Live-Album: Man in Black: Live in Denmark (1971).

II. Kontext

Johnny Cash nur als Countrymusiker zu bezeichnen, würde ihm und seinem Wirken bei Weitem nicht gerecht werden. Er verband den Country mit Rock ‘n’ Roll-Elementen und Folk, sang Blues und Gospel und genoss, vor allem durch seine American Recordings (1994–2010), großes Ansehen auch unter Rock-, Punk- und Rap- Musikern. So ist es auch verständlich, dass Johnny Cash die Ehre zuteil wurde, mehrfach in eine Hall of Fame aufgenommen zu werden: Country Music, Gospel Music, Memphis Music, Nashville Songwriters, Rockabilly, Rock & Roll und Songwriters.

Trotz seiner großen stilistischen Bandbreite ist Johnny Cashs MAN IN BLACK ein typisches Singer-Songwriter-/Folk-Lied mit kritischem Text und spärlicher Instrumentierung – mit anderen Worten: ein Protestsong. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sorgte der Vietnamkrieg für politischen Sprengstoff, die amerikanischen Ureinwohner wurden weiter benachteiligt und in Reservate verbannt. Cash war für seine Kritik an Kriegen, politischen (Macht-)Verhältnissen und besonders an der sozialen Benachteiligung bestimmter Gruppen bekannt. Schon früh in seinem Leben erfuhr er selbst Benachteiligung als armer Sohn eines Baumwollpflückers. Die Benachteiligung von Straftätern versuchte er zum Beispiel anzusprechen, indem er für Gefängnisinsassen auftrat, etwa bei seinen viel beachteten Konzerten in den Gefängnissen San Quentin und Folsom Prison. Sein besonderes Interesse galt den Armen, den Indianern, den sozial Benachteiligten und den Ausgestoßenen, die auch in MAN IN BLACK thematisiert werden.

“The Man in Black” wurde schnell zu Cashs Spitznamen, da er bekannt dafür war, auf der Bühne zeitlebens fast ausschließlich in Schwarz gekleidet aufzutreten. In knielangem schwarzen Mantel stellte er einen krassen Gegenentwurf zu den zu dieser Zeit populären bunten Hemden mit Strass-Steinchen dar, die viele seiner Kollegen trugen. In MAN IN BLACK erklärt Cash gewissermaßen seine Präferenz für diese Farbe.

III. Analyse

In der musikalischen Gestaltung ist MAN IN BLACK genretypisch schlicht gehalten: Die Instrumentalbegleitung ist beschränkt auf akustische und E-Gitarre, E-Bass und Schlagzeug. Nur im Anfangstakt hört man Cash den Grundakkord Bb-Dur auf der Westerngitarre alleine spielen, danach steigen die restlichen Musiker rhythmisch und harmonisch identisch in das Arrangement ein. Der Bass spielt durchgängig einen Country-typischen Wechselbass (d.h. Akkordgrundton und Dominantton), unterstützt von der E-Gitarre, jedoch mit dem Unterschied, dass der Gitarrist beim Dominantton den triolischen Shuffle-Rhythmus übernimmt, der auch stetig von der Snare Drum gespielt wird. Hierdurch entsteht der typische “Boom-Chicka-Boom”-Sound bzw. -Rhythmus, ein unverwechselbares musikalisches Markenzeichen von Johnny Cash und seinen Mitstreitern.

Einfachheit bestimmt auch den strukturellen Songaufbau: eine Abfolge von acht vierzeiligen Strophen ohne Refrain oder andere musikalische Überleitungspassagen. Das Akkordmaterial der Strophen besteht aus den Hauptstufendreiklängen Tonika (Bb-Dur), Subdominate (Eb-Dur) und Dominante (F7); hiervon weicht lediglich die zweite Stufe in Dur (C7) ab, die zugleich als Doppeldominante zu F7 fungiert. Die harmonische Struktur der 16-taktigen Strophen ist insofern zirkulär angelegt, als diese jeweils auf dem Halbschluss F7 enden und somit zwingend zum tonikalen Ausgangspunkt Bb-Dur und zum Beginn der nächsten Strophe zurückführen. Am Beispiel der 1. Strophe sieht dies folgendermaßen aus:

Bb
Well you wonder why I always dress in black
C7
Why you never see bright colors on my back
Eb Bb   Eb Bb
And why does my appearance seem to have a sombre tone
C7 F7
Well there’s a reason for the things that I have on

Nur ein kurzer Schlagzeug-Break markiert eine Zäsur zwischen den Strophen, der harmonische Übergang von der Dominate F7 zur Tonika Bb-Dur wird indes zusätzlich betont durch die Durchgangstöne f-g-a-b in Bass und E-Gitarre. Dass angesichts der Ernsthaftigkeit der Thematik ausschließlich Dur- und keine Moll-Akkorde Verwendung finden, ist überraschend, aber in der Folk- und Country-Musik keine Seltenheit.

Bezüglich der Vokalmelodie und der Singweise von Johnny Cash ist festzustellen, dass die durchgängig kleinschrittige melodische Entwicklung im Ambitus selten eine Sexte überschreitet, der Rhythmus eine gewisse – fast möchte man sagen: gebetsartige – Gleichförmigkeit aufweist, wobei diese durch Synkopierungen und Off-Beat-Phrasierungen stellenweise aufgebrochen wird. Cashs sonore und leicht nasale Stimmfärbung sowie seine ebenfalls recht eintönige, dynamisch kaum variierende Singweise verleihen der Textaussage und einzelnen Schlüsselwörtern jedoch ein Höchstmaß an Eindringlichkeit und Bedeutungstiefe.

Die Gleichförmigkeit in der musikalischen Gestaltung (und Interpretationsweise) korrespondiert mit dem strukturellen Aufbau des Textmaterials, in dem die acht vierzeiligen Strophen dem Reimschema aabb folgen.

In der ersten Strophe gibt Johnny Cash die Grundfrage des Songs, die sein Publikum zudem seit Längerem bewegt, an selbiges zurück und beantwortet sie zugleich: “Well you wonder why I always dress in black / Why you never see bright colors on my back / And why does my appearance seem to have a sombre tone / Well there’s a reason for the things that I have on”. Es gibt verschiedene Gründe, wie Cash seinem Publikum sodann in den folgenden Strophen darlegt: Er trägt Schwarz für die Armen, für diejenigen, die keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen, für all diejenigen, die in hoffnungslosen, ärmlichen Verhältnissen leben, wie Cash in seiner Jugend einst selbst. Aber Johnny Cash trägt Schwarz auch für diejenigen, die seiner Meinung nach lang genug im Gefängnis saßen, ihre Strafen längst verbüßt haben und einsichtig sind. Stets kritisierte er die unverhältnismäßig langen Gefängnisstrafen in den USA. Die Konsumgesellschaft der USA wird ebenso von Cash kritisiert wie der Umgang mit Alten, Kranken, Drogensüchtigen und Einsamen. Diese Personengruppen lagen ihm besonders am Herzen, da er selbst jahrelang drogen- und alkoholabhängig war. Nur durch die Hilfe seiner Familie und der Carter Family konnte er die Sucht besiegen. Außerdem trägt er Schwarz in Trauer um diejenigen, die zu früh gestorben sind. Einerseits denkt er dabei an den Vietnamkrieg, der jede Woche die Leben zahlreicher junger Männer – nicht nur US-Amerikaner – forderte, andererseits denkt Cash bei dieser Zeile auch an seinen älteren Bruder Jack, der 1944 bei einem Unfall mit der Kreissäge im Alter von 14 Jahren ums Leben kam. Johnny Cash war dabei anwesend, sein Vater machte ihm jahrelang Vorwürfe und ihn für den Tod Jacks (mit-)verantwortlich. Cash ist sich bewusst, dass Kriege, Armut oder Abgrenzung niemals ganz aufhören werden, schon gar nicht von heute auf morgen, sodass er verspricht, niemals einen weißen Anzug zu tragen, solange die Menschheit sich der Missstände nicht annimmt und etwas dagegen unternimmt.

Johnny Cash will helfen, die geschilderten Zustände zu verbessern, indem er als “Man in Black” auf sie aufmerksam macht. Er hofft, dass es Betroffenen durch sein Wirken, seinen Zuspruch leichter fällt, über ihre Probleme zu reden und sich Hilfe zu holen (siehe hierzu auch Pavenzinger 2012). Bis zu seinem Tod im Jahr 2003 trat er ausschließlich in schwarzer Kleidung auf.

IV. Rezeption

Das Lied wurde von den Fans begeistert aufgenommen, die Kritiker lobten ihn für die klaren Worte und für die direkte Ansprache der Probleme der Zeit. Bis heute ist MAN IN BLACK ein Synonym für Johnny Cash. In der damaligen Zeit wurde Country von einem Großteil der Hörer eher mit bunten Hemden und einfachen Liebestexten assoziiert, weswegen die Chartplatzierungen der Single durchaus als Erfolg gesehen werden können (U.S. Billboard Hot 100: Platz 58; U.S. Billboard Hot Country Singles: Platz 3; Canadian RPM Country Tracks: Platz 2; Canadian RPM Top Singles: Platz 38).

 

NINO GAUMANN


Credits

Akustische Gitarre und Gesang: Johnny Cash
E-Gitarre: Carl Perkins
Bass: Marshall Grant
Schlagzeug: W. S. Holland
Songwriting: Johnny Cash
Produzent: Johnny Cash
Release: 1971
Label: Columbia

Recordings

  • Johnny Cash. “Man in Black / Little Bit of Yesterday”, 1971, Columbia, 4-45339, USA (Vinyl/Single).
  • Johnny Cash. “Man in Black”. On: Man in Black, 1971, Columbia, C 30550, USA (Vinyl/Album).
  • Johnny Cash. “Man in Black”. On: Man in Black: Johnny Cash Live in Denmark, 1971, Columbia, 88875141471, USA, Canada and Europe (Vinyl/Album).

References

  • Cash, Johnny: Cash – die Autobiografie von Johnny Cash. Hamburg: Edel 2012.
  • Pavenzinger, Stefan: The Voice of America. Die gesellschaftspolitische Vermittlerfunktion Johnny Cashs 1963–1972. Trier: WVT 2012.

About the Author

Analysis written in a course of Prof. Dr. Thomas Krettenauer at the University of Paderborn.
All contributions by Nino Gaumann

Citation

Nino Gaumann: “Man in Black (Johnny Cash)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/maninblack, 10/2018.

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