2012
Muse

Madness

Der Song MADNESS der britischen Alternative-Rock-Band Muse ist die zweite Single-Auskopplung des Albums The 2nd Law aus dem Spätsommer 2012. Der Song fällt in die Kategorie Liebeslied und besticht weniger durch seinen Text oder ein kompliziertes Harmonieschema, als vielmehr durch den virtuosen Umgang mit Soundgestaltung und Instrumentierung.

I. Entstehungsgeschichte

Der Song MADNESS gehört zum sechsten Studioalbum The 2nd Law von Muse. Das Album wurde zwischen Oktober 2011 und August 2012 aufgenommen und am 1. Oktober 2012 in Großbritannien veröffentlicht. MADNESS ist die zweite Single-Auskopplung nach ”Survival“ (27. Juni 2012). Die Premiere, die eigentlich am 20. August 2012 auf BBC Radio 1 um 19.30 Uhr (BST) stattfand, war aber nicht die erste Begegnung der Öffentlichkeit mit dem Song, da er schon vorher online geleakt worden war und so unbeabsichtigterweise eine Veröffentlichung in Südkorea erfahren hatte.

Das Video zu MADNESS feierte am 5. September 2012 Premiere. Regisseur des Musikvideos ist Anthony Mandler, der zuvor schon das Video zu „Neutron Star Collision (Love is Forever)“ von Muse gedreht hatte. Die Protagonisten werden von Erin Wasson und Max Silberman gespielt, Drehort ist die Los Angeles Union Station.

II. Kontext

Komponist, Textdichter, Sänger und Gitarrist Matthew Bellamy berichtet, dass das Lied nach einem Streit mit seiner damaligen Verlobten und Mutter seines Kindes Kate Hudson entstanden ist. Bei der Reflexion dieses Streits sei ihm bewusst geworden, dass er im Unrecht war, und er verarbeitete dieses Ereignis in dem hier behandelten Song. Da seit dem Debütalbum Showbiz die meisten Titel der Band keine persönlichen Sujets wie etwa Liebe oder Beziehung bearbeiteten, nimmt der Song – sowie auch einige andere Tracks auf The 2nd Law eine besondere Bedeutung in der Bandgeschichte ein.

Die Faszination, die von der Band Muse ausgeht, liegt allerdings weniger in den Aussagen der Texte oder der politischen Motivation der Musiker, als vielmehr in technischer Finesse, aufwendiger Produktion und künstlerischer Virtuosität.

III. Analyse

MADNESS besticht durch seine simple Grundgestaltung. Klangdesign und Klarheit haben ganz klar Vorrang vor instrumentaler und textlicher Dichte. Der Text, der von einer romantischen zwischenmenschlichen Beziehung handelt, unterstützt dies dahingehend, dass klare kurze Sätze in kurzen Phrasen vertont und mit einem auf den ersten Blick durchsichtigen harmonischen und rhythmischen Konzept unterlegt sind, das Hörerwartungen an Popsongs eher erfüllt denn durchbricht.

Die Form könnte man in folgende Abschnitte einteilen: Intro – Vers 1 – Prechorus 1– Interlude – Vers 2 – Prechorus 2 – Interlude – Gitarrensolo – Prechorus 3 – Chorus – Outro. Anders als von einem  Prechorus (1+2) erwartet, wird dieser nicht von einem Chorus abgelöst, der die Strophen voneinander abgrenzt und sich durch mehrmalige Wiederholung charakterisiert. In MADNESS erklingt der Chorus nur einmal. Der im oben genannten Formschema als „Prechorus“ bezeichnete Part drängt trotz fehlendem Chorus durch Harmonisierung (Tp-D-S-Tp-D-S) und Instrumentierung stark nach vorne. So entsteht das Gefühl, dass diese acht Takte auf einen Höhepunkt hinarbeiten, den ein Hörer als eigentlichen Chorus identifizieren würde. Bei den ersten beiden Malen wird diese Erwartung aber nicht erfüllt, sodass eine gewisse Spannung erzeugt wird.

Die einzelnen Formteile lassen sich schon allein durch ihre Harmonien voneinander abgrenzen. Intro, Outro und Interludes sind im Grunde identisch, bis auf wenige Kleinigkeiten. Im Intro setzt erst nach dem zweiten Takt das Schlagzeug ein, der letzte Takt des Outro ist rhythmisch insofern anders, als ein durch Triolen auskomponiertes Ritardando die Phrase abschließt, und über den Interludes läuft eine kurze gesummte pentatonische Vokalise. Davon abgesehen sind alle drei Formteile viertaktige Wiederholungen ein und derselben rhythmischen Figur in Oktaven auf dem Grundton, ausgeführt von einer Kitara (ein elektronisches Instrument, s.u.) und Gesang auf der Silbe „Mad“. Die Strophen bestehen aus zwei achttaktigen Phrasen. Vier Takte Tonika werden von zwei Takten Subdominante abgelöst, auf die wiederum zwei Takte Tonika folgen. Die letzten beiden Takte dieser Phrasen weisen dieselbe Faktur wie das Intro auf. Der Prechorus bildet harmonisch einen klaren Gegensatz zum Vers, indem zum ersten Mal auf die Tonikaparallele ausgewichen wird. Indem die Dominante von der Subdominante abgelöst wird, entsteht das Gefühl eines Spannungsaufbaus, der in einen Chorus münden sollte, was erst beim dritten Mal tatsächlich erfolgt. Die ersten beiden Male fällt die Spannung dadurch komplett in sich zusammen, dass die Tonika der Interlude erklingt. Das Gitarrensolo basiert auf den Harmonien des Verses, der Chorus auf denen des Prechorus.

Die Melodie der Strophen zeichnet sich durch eine gewisse harmonische Transparenz aus, die sich ableitet aus einem schlichten Fundament aus Grundtönen, über dem sich die Gesangsmelodie bewegt. So wird beispielsweise die erste Silbe der Phrase als einzelne Viertel auf die Eins gestellt und erst fast vier Viertel später an eine Melodie angeknüpft. Die Strophen sind ansonsten rhythmisch prägnant und synkopiert und bilden einen (rhythmischen) Kontrast zur rhythmischen Figur im Bass. Die Melodie des Prechorus ist im Gegensatz dazu sehr viel gesanglicher und dichter. Die Töne sind länger und man hat das Gefühl, dass die Musik fließender ist als zuvor. Im Chorus letztendlich, der nur aus den wenigen Silben „I need your love“ besteht, dominieren lange Töne, die leicht synkopisch versetzt zusammen mit den Harmonien wechseln. Der Spitzenton ist in diesem Teil auch eine Quarte höher. Dadurch und durch die Instrumentierung entsteht das Gefühl des dreimal vorbereiteten und endlich eingelösten Höhepunkts.

Die größte Besonderheit der Instrumentierung ist der Einsatz der Kitara, einer Mischung aus Synthesizer und E-Gitarre, bei der an einem Hals, ähnlich der Gitarre, Töne abgegriffen werden und auf einer Touchscreen-Oberfläche unterschiedlichste Anschlagsvarianten durchgeführt werden können. Der Klang des Instruments ähnelt bei MADNESS dem eines stark verzerrten E-Basses, durch die digitale Beschaffenheit des Instrumentes sind vielfältige Registrierungen möglich. Dieses Instrument, vom Bassisten der Band Christopher Wolstenholme gespielt, übernimmt auch die Funktion des Bassinstruments bis zum dritten Prechorus, wenn Wolstenholme auf den E-Bass wechselt. Auch beim Schlagzeugpart wird das Instrument an dieser Stelle im Song ausgetauscht. Was vorher auf E-Drums erklungen ist, wird nun auf einem analogen Drumset gepielt.

Das ganze Stück, welches eine sehr transparente Struktur aufweist, erfährt dadurch eine Steigerung, dass immer mehr Instrumente hinzukommen. Den ersten Teil der Strophe über sind nur Kitara, E-Drums und Gesang zu hören, zum zweiten Teil kommt ein einzelner Orgelpunkt auf dem Grundton im Synthesizer hinzu. Der erste Einsatz der Gitarre erklingt mit einer rhythmischen Figur auf einem einzelnen Ton (wiederum der Grundton) zur zweiten Strophe. Das Gitarrensolo ist stark verzerrt, was einen stilistischen Gegensatz zur synthetischen Begleitung mit Kitara und E-Drums bildet. Vor dem darauffolgenden Prechorus geschieht dann schließlich der Umstieg auf die analogen Instrumente, und die Harmonieinstrumente liefern vollständige Akkorde. E-Drums und Kitara bilden jedoch wieder die Begleitung zum Outro, welches wie schon erwähnt mit dem Intro identisch ist.

Im Text geht es um ein lyrisches Ich, dass die Beziehung zu seinem Partner betrachtet. Unstimmigkeiten werden in dieser Beziehung offensichtlich durch ”crazy fights“ ausgetragen und das lyrische Ich bescheinigt diesem Modus eine Irrationalität, die aber offenbar auch eine Grundlage dieser Romanze ist. Der Text thematisiert irrationales Verhalten und steht somit in einem gewissen Gegensatz zur musikalischen Grundidee, welche sich durch harmonische und melodische Simplizität und Nachvollziehbarkeit auszeichnet.

Die Harmonien wagen sich vorerst nicht weiter als zur Subdominate von der Tonika weg, durch die digitale Instrumentierung mit Kitara und E-Drums wirkt der Sound sehr mechanisch und durch den Mangel an Harmonieinstrumenten ein wenig steril. Durch den ausdrucksstarken und virtuos verzierten Gesang Bellamys wird dieser Eindruck gleichsam konterkariert. Durch die Zunahme von Harmonietönen, Backgroundgesang und schließlich den Umstieg auf Drumset und E-Bass sowie den Einsatz der E-Gitarre als Harmonieinstrument wandelt sich das Klangbild.

Den Chorus, der, wie erwähnt, dreimal vorbeireitet wird, aber letztendlich nur einmal erklingt, lässt sich zusammengefasst folgendermaßen interpretieren: Das lyrische Ich fürchtet, dass die Beziehung, deren Grundlage sich am Rande des Wahnsinns bewegt, gänzlich in diesen abdriften könnte, wodurch sie einen selbstzerstörerischen Weg einnehmen würde. Das Eingeständnis „I need your love“, das einem verzweifelten Aufschrei gleichkommt, drückt schließlich den Verlust des letzten Rests Rationalität aus.

Das Video zu MADNESS spielt in einer U-Bahn-Station. Ein junger Mann (gespielt von Max Silbermann) und eine junge Frau (Erin Wessin), die Protagonisten des Videos, bewegen sich durch die Gänge der Station, während sich um sie herum eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen vermummten Zivilisten, offenbar radikale Demonstranten, und Polizeistaffeln in Kampfmontur aufbaut und später eskaliert. Die Protagonisten sind nicht in den Konflikt verwickelt. Es ist, als ob diese Handlungsstränge zwar zur gleichen Zeit am gleichen Ort stattfinden, aber ansonsten nichts miteinander zu tun haben.

Der Höhepunkt des Videos ist gleichzeitig mit dem Höhepunkt des Songs erreicht: zu Beginn des Chorus (Textstelle „I need your love“). Zu diesem Zeitpunkt treffen die beiden Protagonisten zum ersten Mal frontal aufeinander. Sie halten sich gegenseitig fest und es sieht aus, als würde die Frau schreien, während um sie herum die beiden Parteien in ein heftiges Gefecht ausbrechen. Dann küssen sie sich.

Zwischen den Szenen mit den Kampfhandlungen und den beiden Hauptcharakteren sieht man immer wieder die Musiker der Band, wie sie ihre Instrumente spielen oder, im Falle von Bellamy, singen. Auch hier sind im Hintergrund Polizei und Demonstranten zu sehen, die Band wird in dieses Geschehen ebenfalls nicht verwickelt.

Auffällig sind die Farben. Das ganze Video ist in dunklen Blautönen gehalten, wodurch insgesamt eine düstere Stimmung entsteht. Lediglich wenn die Band im Bild ist, erhellen grellbunte Scheinwerfer die Szenerie.

IV. Rezeption

MADNESS war 19 Wochen an der Spitze des Billboard’s Alternative Chart und hatte somit die längste Zeit seit Entstehung dieser Hitparade die Spitzenposition inne. In Deutschland erreichte er lediglich Platz 67 der Media Control Charts, das Album schaffte es jedoch auf Platz 2. In Canada, Italien und den USA wurde der Song mit Platin ausgezeichnet. Die Bewertungen von MADNESS sind größtenteils sehr positiv ausgefallen. Der Rolling Stone schrieb: “[The Track] swap[s] bombastic bass brutality with wubby subtleties as Matthew Bellamy croons over a surprisingly gentle pop track” (Anonymous, in: Rolling Stone) und wählte den Song auf Platz 37 der besten Songs des Jahres 2012. Doch auch einige negativen Rezensionen gab es, so beispielsweise in The Village Voice: “the band’s U2 imitation has finally caught up to Achtung Baby and Zooropa. […] [The Band] gets the surface details right but lacks the emotional and intellectual foundation to get at their inspiration’s essence” (zit. n. “Madness (Muse Song)”, en.wikipedia.org). Der Song wurde in der Kategorie “Bester Rock Song” 2013 für einen Grammy nominiert und war Bestandteil mehrerer TV-Soundtracks, beispielsweise bei CSI: NY und Criminal Minds. Matthew Bellamy selbst betrachtet MADNESS als seinen Lieblingssong auf dem Album.

 

ANDREAS SCHMITT


Credits

Gesang, Gitarre, Synthesizer: Matthew Bellamy
Bass, Kitara, Backgroundgesang: Christopher Wolstenholme
Drums, Backgroundgesang: Dominic Howard
Produzent: Muse
Musik, Text: Matthew Bellamy
Label: Warner Bros./ Helium-3
Länge: 4:39 (Album), 3:34 (Radio)
Recorded: 2012
Release: 1.10.2012

Recordings

  • Muse. „Madness“. On: The 2nd Law, 2012, Warner Bros. – 532065-2 / Helium-3 – 532065-2, US (CD/Album).
  • Muse. „Madness“. On: Madness, 2012, Warner Bros./Helium-3, none, UK (CD/Single).
  • Muse. „Madness“, 2012, Warner Bros., ASIN: B009GWM1JQ, UK (Download).
  • Muse. “Survival”, 2012, Warner Music UK Ltd., ASIN: UK: B008FOAQ4I, Great Britain (Download).

Covers

  • HeLLeR. “Madness”, 2012, Hell’Station, ASIN: B009K4QQ6Y, Italien (Download).

References

  • Anonymous: “Muse Unveil Subtle New Single ‘Madness'”. In: Rolling Stone, 20. August 2012. URL: http://www.rollingstone.com/music/videos/muse-unveil-subtle-new-single-madness-20120820 [22.03.2015].
  • “Madness, by Muse”. In: songfacts. URL: http://www.songfacts.com/detail.php?id=26990 [22.03.2015].
  • “Madness (Muse Song)”. In: Wikipedia. URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Madness_(Muse_song) [22.03.2015].
  • “Muse – Madness”. In: discogs. URL: http://www.discogs.com/Muse-Madness/master/496815?sort=title&sort_order=asc [22.03.2015].
  • “Muse (UK rock band)”. In: musicbrainz. URL: http://musicbrainz.org/artist/9c9f1380-2516-4fc9-a3e6-f9f61941d090 [22.03.2015].

About the Author

Analysis written in a course of Prof. Dr. Martin Pfleiderer at the University of Music FRANZ LISZT Weimar.
All contributions by Andreas Schmitt

Citation

Andreas Schmitt: “Madness (Muse)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/madnessmuse, 03/2017.

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