1987
Sting

Englishman in New York

Der Song ist einer der bekanntesten Titel von Sting und reflektiert seine Begegnung mit Quentin Crisp, einem exzentrischen Engländer, der seit Beginn der 80er Jahre in New York lebte.

I. Entstehungsgeschichte

Nachdem Sting (mit bürgerlichem Namen Gordon Matthew Sumner) als Sänger und kreativer Kopf der Band The Police zu einem Superstar der frühen achtziger Jahre aufgestiegen war, setzte er seine Karriere ab 1985 als Solokünstler fort. Zunächst erschien das Studioalbum The Dream Of The Blue Turtles. 1986 schloss sich das Live-Doppelalbum Bring On The Night an, und ein Jahr später folgte … Nothing Like The Sun, Stings zweites Studioalbum als Solist.

1987 lebte Sting für mehrere Monate in New York. Er hatte in Manhattan ein luxuriöses Apartment erworben und arbeitete dort intensiv an den Songs für … Nothing Like The Sun. In dieser Zeit traf er sich mehrfach mit Quentin Crisp (1908-1999), den er 1985 bei den Dreharbeiten zu dem Frankenstein-Film The Bride kennen gelernt hatte. Der gebürtige Engländer Crisp, der vor allem als Autor und Schauspieler bekannt geworden war, lebte seit 1981 in New York. Schon in den 50er Jahren hatte er sich offen zu seiner Homosexualität bekannt und war dadurch vielen Anfeindungen ausgesetzt. Bis ins hohe Alter trat er, stets geschminkt und sich feminin gebärdend, mit der Attitüde eines Dandys auf. Sting und Crisp verstanden sich glänzend. Persönlichkeit und Lebensweg des Exzentrikers faszinierten Sting offenkundig sehr. Niederschlag fand dies in dem Song ENGLISHMAN IN NEW YORK, zu dem sich Sting von Crisp inspirieren ließ, dessen lyrisches Ich aber ebenso autobiografische Züge trägt, wie Stings Kommentar in der Buchausgabe seiner Songtexte verdeutlicht (vgl. Sting 2010: 128).

II. Kontext

Mitte der 1980er Jahre bezogen viele Rockmusiker zu politischen und gesellschaftlichen Themen Stellung. Zahlreiche Wohltätigkeitskonzerte prägten die Zeit (vgl. Jahl 2003: 80-83). Sting wies beispielsweise in dem Song “They Dance Alone” von dem Album … Nothing Like The Sun eindrucksvoll auf das Schicksal der unter der Militärherrschaft in Argentinien und Chile spurlos verschwundenen Menschen hin.

ENGLISHMAN IN NEW YORK thematisiert die Situation eines Ausländers in einem Umfeld, dem er und das ihm zum guten Teil fremd bleibt. Obwohl er die gleiche Sprache spricht, verrät ihn sein Akzent als Engländer. Er zeigt typische Marotten, verfügt aber auch über besondere charakterliche Stärken. Wer, wie er, einen distinguierten Lebensstil pflegt, muss Ignoranz und Spott mannhaft erdulden können. Der Song plädiert für die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensentwürfe, aber auch unterschiedlicher Männlichkeitsbilder. Nicht der Kampfanzug oder die Waffe zeichnen einen Mann aus, sondern die Fähigkeit, seinen Feinden möglichst auszuweichen. Derjenige, der gute Manieren besitzt, ist “the hero of the day”. Bei all dem hat fraglos der feinsinnige Gentleman Quentin Crisp Pate gestanden; in dem Videoclip zu ENGLISHMAN IN NEW YORK ist er mehrfach zu sehen. “Be yourself, no matter what they say”, lautet die zentrale Botschaft des Songs – ein Plädoyer dafür, sich treu zu bleiben, seine Identität zu wahren, auch wenn die Widerstände von außen noch so heftig sind.

III. Analyse

ENGLISHMAN IN NEW YORK wird wesentlich geprägt vom Klang eines Sopransaxofons, gespielt vom renommierten Jazzmusiker Branford Marsalis. Das Saxofon führt einen Dialog mit dem Gesang, umspielt die Vokallinie, tritt aber auch solistisch in Erscheinung, zunächst in der instrumentalen Einleitung des Stückes. Auch wenn im Videoclip Tracy Wormworth, die Stings Band bei der Nothing Like The Sun-Tour 1987/88 als Bassistin angehörte, am Kontrabass zu sehen ist, hat Sting den Bass für das Studio-Album selbst eingespielt. Sein markanter Bassriff und die in einem Pizzicato-Effekt nachschlagenden Achtelakkorde des Keyboards lehnen sich unverkennbar an musikalische Stereotype aus dem Reggae an. Dies ist ein Erbe der New Wave, zu deren Protagonisten Stings Band The Police, die insbesondere Elemente des Reggae in ihre Musik eingeschmolzen hat, gehörte.

Harmonisch basiert der Song auf einer ungewöhnlichen Akkordfolge (E-moll – A-Dur – H-moll), die am ehesten wohl als so genannte dorische Kadenz zu interpretieren ist: Der Tonika in Moll folgen quasi die Subdominante in Dur und die Dominante in Moll. Dieses zweitaktige harmonische Modell wird in Strophe und Refrain, der aus zwei textlich und musikalisch identischen Hälften besteht, ostinat wiederholt.

Formal liegt ENGLISHMAN IN NEW YORK folgende Struktur zugrunde:

Intro (Sopran-Saxofon) 8 Takte – Strophe I 8 Takte – Strophe II 8 Takte – Refrain 8 Takte – Strophe III 8 Takte – Refrain 8 Takte – Bridge 8 Takte – Jazz-Solo (Sopran-Saxofon) 8 Takte – Rockrhythmus (Schlagzeug) 4 Takte – Strophe IV 8 Takte – Strophe III 8 Takte – Coda (mit Fadeout)

In dem Song findet sich ein Paradebeispiel für einen formalen Abschnitt, der als Bridge bezeichnet werden kann. Nachdem sich das gemeinsame Begleitmodell von Strophe und Refrain langsam abzunutzen droht, erscheint in den acht Takten der Bridge ein neuer musikalischer Gedanke. Es werden gänzlich andere harmonische Bezirke angesteuert, die Tonalität lichtet sich nach D-Dur auf. Zudem verbindet diese Passage tatsächlich im Sinne einer “Brücke” zwei unterschiedliche Formteile miteinander. Es schließt sich unvermutet ein achttaktiger Instrumentalpart über die Akkordfolge von Strophe und Refrain an: Marsalis bläst ein Solo über einen swingenden Jazzrhythmus und die durchlaufende Bewegung eines Walking Bass. In einem krassen akustischen Schnitt folgt sodann ein viertaktiges Rockschlagzeugpattern von geradezu brutaler Härte. Damit prallen denkbar große musikalische Kontraste aufeinander. Man könnte mutmaßen, dass die elegant swingende Jazzsphäre dem kultivierten “Englishman” zuzuordnen sei, der harte Rockrhythmus hingegen der modernen Metropole New York. Dies findet durch die Visualisierung im Videoclip durchaus Bestätigung. Hier werden Bilder der im halbwegs wohligen Innenraum musizierenden Band und rasch geschnittene, verschwommene Einstellungen einer unwirtlichen Großstadtszenerie mit belebten Straßen scharf gegeneinander gesetzt. Für Christopher Gable symbolisieren die beiden disparaten Instrumentalepisoden wiederum “various expressions of masculinity” (Gable 2009: 44). Sting selbst erläutert, er habe einen Effekt erzeugen wollen, als schaue der Hörer in die Türen von Nightclubs hinein, während er die Straße hinunter spaziert (vgl. Gable 2009: 44).

Aufmerksamkeit verdient schließlich der als Coda bezeichnete letzte Abschnitt des Stückes: Die Maxime “Be yourself, no matter what they say” wird in einer fortwährenden Schleife wiederholt und simultan gekoppelt mit dem Refrain. Die gemeinsame harmonische Grundlage erlaubt, beide Motive synchron miteinander zu kombinieren. Eine derartige polyphone Schichtung mehrerer Melodien war im Übrigen bereits in Stücken wie “God Only Knows” (1966) von den Beach Boys oder “Silly Love Songs” (1976) von den Wings zu hören. Während der Gesang und die sonstigen Instrumente ausgeblendet werden, bleibt das Saxofon allein zurück. Dies mag als Klangbild für die Einsamkeit, ja für die Isolation des Englishman in New York verstanden werden. Christopher Sandford erklärt die Sympathie, die Sting für Crisp empfand, dadurch, dass es Sting zu jenen hinzog, “die er – wie Crisp – als ebenso einsam ansah.” (2000, S. 176) In dieser Hinsicht erhärtet sich also die These, dass im ENGLISHMAN IN NEW YORK Wesenszüge sowohl von Sting als auch von Crisp zusammenfließen.

IV. Rezeption

Am 3. Oktober 1987 erschien das Album … Nothing Like The Sun. Es wurde zu einem großen kommerziellen Erfolg und mit zahlreichen Grammys und Platinplatten ausgezeichnet (vgl. Sandford 2000: 215, 217). Die noch im gleichen Jahr publizierte Singleauskoppelung von “We’ll Be Together” geriet zu einem “Smash-Hit” (Sandford 2000: 210). 1988 wurde auch ENGLISHMAN IN NEW YORK als Single veröffentlicht. Der große Erfolg in den Charts blieb allerdings aus. In den USA reichte es nur zu Platz 84, in Großbritannien zu Platz 51 der Hitlisten. Dass der Song im Jahr nach der Veröffentlichung des überaus erfolgreichen Albums nicht mehr die Toppositionen der Charts stürmte, verwundert nicht. Dennoch ist ENGLISHMAN IN NEW YORK zu einem der bekanntesten Titel von Sting geworden. 1990 produzierte der niederländische DJ Ben Liebrand einen Remix, der sich in den Charts wesentlich besser platzieren konnte als Stings Original.

1993 veröffentlichte der in England geborene Jamaikaner Shinehead eine Reggae-Adaption mit dem Titel “Jamaican In New York”, der beträchtlicher Erfolg beschieden war. Textlich wird die Situation eines Engländers umgemünzt auf die eines Jamaikaners in New York. Beispielsweise heißt es statt “You can hear it in my accent when I talk, I’m an Englishman in New York” nun “You can see it in my motions when I walk, I’m a Jamaican in New York.” Musikalisch werden die im Original angelegten Reggae-Elemente hervorgekehrt und verstärkt.

ENGLISHMAN IN NEW YORK wurde häufig gecovert. Zwei deutschsprachige Beispiele dokumentieren, dass der Song immer wieder regionalen Besonderheiten angepasst wurde. Der Starkomiker Otto Waalkes – bekannt für seine witzigen Verballhornungen bekannter Popsongs – hat seit den frühen 90er Jahren eine Version mit dem Titel “Friesenjung” im Programm. Und auf der 1994 aufgenommenen Debüt-CD Dut-Dut-Duah! der Kölner A-Cappella-Gruppe Wise Guys, die inzwischen weit über die Grenzen ihrer Heimatstadt hinaus Kultstatus erworben hat, ist vom “Kölsche Jung in New York” zu hören. Eine Gitarre begleitet hier noch den Gesang, und zum Abschluss wird die rheinische Hymne “Ich möch zo Foß noch Kölle jon” angestimmt. Weit entfernt von der Originalität und Souveränität späterer Jahre, ist dieses frühe Stück der Wise Guys aber eher in die Rubrik der Kuriositäten einzuordnen.

2010 hat Sting selbst die Reihe der Bearbeitungen durch eine weitere Fassung fortgesetzt. Er präsentierte das Album Symphonicities, dessen Titel fraglos auf Synchronicity, das letzte und erfolgreichste Album (1983) von The Police, anspielt. Sting besitzt eine ausgeprägte Neigung zur abendländischen Kunstmusik (vgl. Custodis 2009). So vermag es nicht zu überraschen, dass er mit Symphonicities ein Projekt realisiert hat, das seine Songs mit den Klängen des klassisch-romantischen Symphonieorchesters verbindet. Während “Roxanne”, ein auf Police-Tage zurückgehender Hit, zum Beispiel in gänzlich ungewohntem Klanggewand erscheint, verändert sich der Grundcharakter von ENGLISHMAN IN NEW YORK kaum. Die nachschlagenden Pizzicato-Akkorde werden hier nun tatsächlich von Streichinstrumenten erzeugt; das im Symphonieorchester kaum beheimatete Sopransaxofon wird durch eine Klarinette ersetzt.

Völlig anders fällt allerdings der Schluss in dem von Rob Mathes erstellten Orchesterarrangement aus. Es gibt kein Fadeout. Stattdessen führen großflächige Akkorde zu einem gemeinsamen Ausklang. Dieser ENGLISHMAN IN NEW YORK wirkt wie ein “akustischer Remix” unter Beteiligung eines symphonischen Orchesters.

Sowohl I’m An Englishman in New York, ein 2003 erschienenes Buch mit gesammelten Texten Crisps in deutscher Übersetzung, als auch der 2009 von dem Regisseur Richard Laxter gedrehte biografische Film An Englishman in New York entlehnen ihre Titel dem bekannten Song von Sting. Auch nach dem Tode Crisps unterstreichen sie damit die gegenseitige Faszination, die beide Künstler aufeinander ausgeübt haben. Zumindest wird aber deutlich, wie maßgeblich das heutige Image von Crisp durch Stings ENGLISHMAN IN NEW YORK mitgeprägt wurde.

 

HANS-JOACHIM ERWE


Credits

Gesang, Bass: Sting
Sopransaxofon: Branford Marsalis
Keyboards: Kenny Kirkland
Drums: Manu Katché
Autor: Sting (Gordon Matthew Sumner)
Produzent: Neil Dorfsman, Sting
Label: A&M Records
Aufnahmedatum: 1987
Länge: 4:25

Recordings

  • Sting. “Englishman in New York”. On: “Englishman in New York”, 1987, A&M Records, AM-1200, US (7”, Single).
  • Sting. “Englishman in New York”. On: “Englishman in New York”, 1988, A&M Records, 392 276-2, Germany (CD, Maxi, Car).

References

  • Crisp, Quentin: I’m An Englishman in New York. Selbstporträt eines Außenseiters. Ed. by Richard Connolly. Aus dem Englischen von Michael Hein. Hamburg: Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins 2003.
  • Custodis, Michael: Klassische Musik heute. Eine Spurensuche in der Rockmusik. Bielefeld: transcript 2009, 193-222.
  • Gable, Christopher: The Words And Music Of Sting. Westport Conn.: Praeger Publishers 2009.
  • Jahl, Christian: Sting. Die Musik eines Rockstars. Stuttgart: ibidem-Verlag 2003.
  • Sandford, Christopher: Sting. Die definitive Biografie. Höfen: Hannibal 2000.
  • Sting: Die Songs. Aus dem Englischen von Manfred Allié. Frankfurt am Main: S. Fischer 2010.
  • Welch, Chris: The Police und Sting. Story und Songs kompakt. Berlin: Bosworth Music GmbH 2007.

About the Author

Hans-Joachim Erwe (1956-2014) was a professor of music education at the University of Wuppertal.
All contributions by Hans-Joachim Erwe

Citation

Hans-Joachim Erwe: “Englishman in New York (Sting)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/englishmaninnewyork, 11/2011 [revised 10/2013].

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